Alpha-Männer und Gewalt
Was steckt hinter Will Smiths Kontrollverlust?

Die Ohrfeige von Will Smith an der Oscarverleihung gab zu reden. Dabei ist er nicht der einzige Alphamann im Showbusiness, der aktuell toxische Männlichkeit an den Tag legt. Sein Kontrollverlust ist eine Chance, diesen Trend im Keim zu ersticken.
Publiziert: 03.04.2022 um 12:19 Uhr
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Nur 40 Minuten nach seiner Ohrfeige darf Will Smith einen Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Leistung in «King Richard» entgegennehmen. Grund für die Ohrfeige war ein Witz ...
Foto: DUKAS
Patricia Broder

Wer trug an den Oscars das schönste Kleid, oder wer hielt die bewegendste Dankesrede? Kaum einer weiss das noch. Denn nach der 94. Oscarverleihung letzten Sonntag gab und gibt es nur ein Thema: die Ohrfeige, die Will Smith (53) Chris Rock (57) verpasst hat. Grund dafür war ein Witz, den Rock zuvor über die krankheitsbedingte Glatze von Smiths Ehefrau Jada Pinkett Smith (50) gemacht hatte. Während sie nach dem Spruch ihre Augen rollte, stand Will Smith auf, lief schnurstracks zur Bühne und klatschte Chris Rock eine. Anschliessend setzte er sich wieder hin und schrie: «Nimm den Namen meiner Frau nicht in deinen verdammten Mund!»

Doch wie kommt ein gefeierter Filmstar wie Will Smith im Jahr 2022 dazu, sich auf offener Bühne zu einer so archaisch gewalttätigen Reaktion hinreissen zu lassen? «Will Smith muss schon zu Beginn der Verleihung unter enormem Druck gestanden haben – ähnlich einem Dampfkochtopf», sagt die emeritierte Psychologie-Professorin und Therapeutin Pasqualina Perrig-Chiello (69) zu SonntagsBlick. «Da kamen wohl Versagensängste, Eheprobleme und Selbstzweifel im Mann zusammen, kochten hoch und entluden sich alle in dieser Ohrfeige.» Ein öffentlicher Kontrollverlust dieser Art sei für den Filmstar ein tiefer Fall und weise auf aktuelle Selbstwertprobleme hin. «Dass er mit Gewalt reagiert, ist ein Zeichen von mangelnder Impulskontrolle, gepaart mit einer egomanen Selbstinszenierung – ganz nach dem Motto: Schaut her, ich lasse mir das nicht gefallen. Will Smith wollte wohl seine Männlichkeit beweisen, setzte damit aber einen männlichen Tiefpunkt in der sonst so diversen Award-Show», sagt Perrig-Chiello.

Toxische Männlichkeit scheint Comeback zu feiern

Will Smith ist mit seinem Kontrollverlust nicht allein. Diese Form von «toxischer Männlichkeit» scheint aktuell bei manchen Alphamännern im Showbusiness ein Comeback zu feiern. So hat Internet-Comedian Omar (22), auch bekannt als Fat Comedy, kürzlich bei einer Veranstaltung Komiker Oliver Pocher (44) so heftig geohrfeigt, dass dieser vom Stuhl flog. Rapper Kanye West terrorisiert seine Ex-Frau Kim Kardashian (41) und deren neuen Partner Pete Davidson (28) in den sozialen Medien seit Monaten und droht Davidson dabei immer wieder öffentlich Prügel an. «Dass sich Fälle von psychischer und physischer Gewalt auch unter Prominenten häufen, wundert mich nicht», erklärt Perrig-Chiello. «Wir stellen in den letzten Jahren allgemein einen Trend zu mehr Gewaltbereitschaft fest.» Dies habe nicht zuletzt mit der Pandemie und mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. «In unsicheren Zeiten nehmen Ängste und Frustration zu. Einige verschaffen sich über ihre Fäuste Luft, andere finden Halt, in dem sie sich auf traditionelle Rollenbilder besinnen – beides ist gefährlich», so die Expertin.

Denn mit seiner Ohrfeige habe Will Smith nicht die Ehre seiner Frau gerettet, sondern sie erneut zum Opfer gemacht. «Mit seinem Vorgehen entmächtigt er seine Frau. Er prügelt sich für sie, weil sie sich angeblich nicht selber wehren kann. Er macht ihr Problem zu seinem – das ist nicht ehrenhaft, sondern eine Bevormundung und entspricht dem sehr alten traditionellen Rollenbild des Mannes, der seine Liebsten beschützen muss und sich anstatt mit Worten mit Fäusten wehrt.» Und genau hier liege das Problem: «Diese Männer schlagen in der Regel schneller zu, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen.» Das heisst: Männer, die sich für ihre Frauen schlagen, können irgendwann durchaus auch selber zum Frauenschläger werden.

Fall Will Smith als Chance für die Gesellschaft

Rückblende zur Oscarnacht: Nur 40 Minuten nach seiner Ohrfeige darf Will Smith einen Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Leistung in «King Richard» entgegennehmen. Unter Tränen erklärt er in seiner Dankesrede, dass auch sein Charakter im Film ein leidenschaftlicher Verfechter der Familie sei. «Die Liebe bringt dich dazu, verrückte Dinge zu tun», rechtfertigt er seinen Gewaltausbruch. Unterdessen hat die Academy ein Disziplinarverfahren gegen den Schauspieler eingeleitet. Smith selbst hat sich nicht nur bei der Academy, sondern auch bei Rock entschuldigt. Und ist am Freitag freiwillig aus dem Filmverband ausgetreten. Sein Verhalten sei ihm peinlich und spiegle nicht wider, welche Art Mann er sein wolle.

Und genau hier müsse man einhaken, erklärt Perrig-Chiello abschliessend: «Der Fall Will Smith ist für unsere Gesellschaft eine grosse Chance, nicht nur über die Ohrfeige zu reden, sondern auch die traditionellen Geschlechterrollen zu hinterfragen und aufzuzeigen, dass Männer auch männlich sein können, ohne zuzuschlagen. Auch Alphamänner dürfen eine zarte, emotionale Seite haben.»

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