Beim Absaugen von Treibhausgasen aus der Atmosphäre sind Schweizer Firmen spitze
CO2 lässt Tomaten und Gurken spriessen

Findige Schweizer Unternehmen machen international Schlagzeilen mit kreativen Methoden, um Treibhausgase zu reduzieren. Geniale freiwillige Einzellösungen reichen aber laut ETH-Forscher Reto Knutti nicht, um die Klimakrise zu stoppen.
Publiziert: 14.03.2019 um 23:31 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2020 um 10:20 Uhr
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Die Lösung des Zürcher Start-ups Climeworks zum Reduzieren von CO2: Die CO2-Filteranlage auf dem Dach der Kehrichtverbrennungsanlage Kezo in Hinwil ZH.
Foto: Blick
Claudia Gnehm und Sven Zaugg

Der «Klima-Staubsauger» des Zürcher Start-ups Climeworks ist spätestens seit einem Bericht in der «New York Times» vor ein paar Wochen international bekannt. Auf dem Dach der Kehrichtverbrennungsanlage Kezo in Hinwil ZH saugen Düsen die Luft an.

Betrieben wird die weltweit erste kommerziell genutzte Filteranlage mit CO2 aus der Luft durch Abwärme aus der Verbrennungsanlage. Ein Teil des gefilterten Gases gelangt über eine Leitung in ein nahe gelegenes Gewächshaus, wo es Tomaten und Gurken düngt.

So banal es scheint: Emissionsreduktionen wie diese sind ein wichtiger Beitrag gegen die Klimaerwärmung. Gefragt nach den Hauptbaustellen für weniger CO2-Emissionen, hebt der renommierte ETH-Forscher Reto Knutti (46) hervor: «Ein grosser Teil der Nahrungsmittel wird nicht nachhaltig produziert und kommt von weit her.» Die von Climeworks gedüngten Tomaten und Gurken schneiden punkto Transport- und Düng-Emissionen gut ab.

Sisyphus-Arbeit statt Patentlösungen

Laut Knutti kann zwar der Konsument bewusster einkaufen und weniger wegwerfen. «Doch viele dieser Probleme werden wir nicht lösen, indem man nur dem Konsument sagt, er solle etwas Gutes tun», betont er. Es brauche Anreize oder Lenkungsmassnahmen. Probleme wie Abfall und Wasserqualität habe man auch nicht durch freien Markt gelöst, sondern durch verbindliche Richtlinien für alle.

Statt grossen Rezepten braucht es laut Knutti viele Initiativen für mehr Nachhaltigkeit. Die ETH selber demonstriert dies mit einem eigenen Erdsondennetz, Projekten zur CO2-Reduktion in der Verpflegung und bei Flugreisen, Minergie-Gebäuden, Elektro-Mietfahrzeugen und vielem mehr.

Bei der Sisyphus-Arbeit für weniger Emissionen fallen Schweizer Unternehmen international mit genialen Ideen auf. Etwa die Messer Schweiz AG aus Lenzburg AG, die bekannt ist für Industrie- und Lebensmittelgase und als weltweit grösster CO2-Recycler gilt.

Hierzulande betreibt das Unternehmen in Sulgen TG beim Babynahrungsmittelhersteller Hochdorf neuerdings die erste wirtschaftliche CO2-Recycling-Anlage der Schweiz. Die Emissionen, die bei der Produktion der Milchprodukte entstehen, werden von der Anlage eingefangen. Ein Grossteil des Gases verwendet Hochdorf wieder – für das Verpacken und Kühlen der Produkte.

«In der Schweiz haben wir kein natürliches CO2, weshalb wir das Gas mit Tankwagen über manchmal Tausende Kilometer importieren müssen», sagt der Chef der Messer Schweiz AG, Hans Michael Kellner. Die Anlage arbeite wirtschaftlich, und Hochdorf sei nun CO2-Selbstversorger. «Allein mit der Rückgewinnung des unvermeidlichen CO2-Ausstosses von Kehrichtverbrennungsanlagen könnte die Schweiz mehrmals versorgt werden», sagt Kellner.

Swisscom übertrifft alle

Das Einfangen von CO2 gilt seit Jahrzehnten als Wunderwaffe gegen den Klimawandel. Allen voran die Ölkonzerne Shell, Exxon Mobil und BP investieren Millionen in Lager für CO2-Gase. Allerdings ist die Technik teuer und mit vielen Einsprachen konfrontiert. Unter Wissenschaftlern ist umstritten, ob das Einfangen von CO2 überhaupt sinnvoll ist. Gemäss Forschern der US-Eliteuni MIT lässt sich damit nur bis zwei Prozent der globalen Emissionen einfangen. Viel effizienter wäre es, weniger zu emittieren.

Das versuchen Schweizer Unternehmen mit Effizienzmassnahmen und alternativen Energien. So haben rund 3800 in der Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) zusammengeschlossene Unternehmen, die die Hälfte der CO2-Emissionen der Industrie- und Dienstleistungssektor verantworten, seit 2001 rund 30 Prozent ihrer Emissionen reduziert.

Zu glauben, Schweizer Firmen seien überdurchschnittlich engagiert, wäre aber ein Trugschluss. Die Unternehmen in Europa investieren laut Greenpeace Schweiz 2,5 Prozent ihrer Bruttowertschöpfung in den Umweltschutz, in der Schweiz sind es nur 1 Prozent.

Champion bei der Freiwilligkeit ist Swisscom. Es ist das erste Unternehmen, das bei den Kunden mehr reduzieren will, als es selber emittiert. Konkret will Swisscom bei den Kunden bis 2020 doppelt so viel CO2 einsparen, wie sie in ihrem Betrieb und in ihrer Lieferkette verursacht, etwa mit ortsunabhängigem Arbeiten. Ein simples Mittel mit grossem Potenzial.

Klimawandel im Fokus
Emissionsrechte sollen den CO2-Ausstoss eindämmen. Nun werden die Handelssysteme der Schweiz und der EU verknüpft. (Archivbild)
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