BLICK: Wir erleben einen Abstimmungskampf, der das Land in Atem hält. Die Zivilgesellschaft ist aufgestanden und wehrt sich lautstark gegen Ihre Initiative, Herr Brunner. Überrascht?
Toni Brunner: Wir haben endlich wieder eine politische Auseinandersetzung im Land, die diesen Namen verdient. Sie sollten der SVP dafür dankbar sein! Der Widerstand ist tatsächlich massiv. Das liegt daran, dass die politische Elite, Richter und Anwälte um ihren Einfluss fürchten. Sie verteidigen ihre Pfründe. Mich überrascht vor allem der unglaubliche Einsatz des FDP-Präsidenten. Würde er sich dermassen für die Entbürokratisierung einsetzen, die Schweiz hätte keine Bürokratie mehr. Es stimmt mich aber zuversichtlich, dass mich gerade am Bahnhof ein Freisinniger angesprochen hat, der unsere Initiative unterstützt. Du entfernst dich von deiner Basis, Philipp!
Philipp Müller: Lieber Toni, glaub mir: Andauernd kommen SVP-ler auf mich zu und sagen mir klar und deutlich, dass ihre Partei zu weit gegangen ist! Sie haben gemerkt, dass es der SVP nicht darum geht, kriminelle Ausländer auszuschaffen, sondern um viel mehr. Aber die Umfragen zeigen, dass unsere Basis weiss, dass die Initiative ein vergiftetes Geschenk ist.
Herr Müller, Sie kämpfen an vorderster Front. Ihr Lager ist geschlossen, ein Komitee hat viel Geld gesammelt. Wenn das nicht reicht, die SVP zu besiegen, wäre dies das Ende der offenen Schweiz.
Müller: Das Engagement aus der Gesellschaft ist einmalig, und ich bin sehr dankbar dafür. Ich gebe aber zu: Wir pokern hoch. So viele Leute exponieren sich für ein Nein. Denn es geht um mehr als kriminelle Ausländer: Ist die SVP in der Lage, mit einer dermassen polarisierenden Vorlage das ganze Land an die Wand zu fahren? Wenn es zu einem Ja kommt, müssen ziemlich viele Leute in der Schweiz über die Bücher.
Sie wären mitschuldig, Herr Müller. Vor 18 Monaten wollten Sie die Durchsetzungs-Initiative noch eins zu eins ins Gesetz überführen
Müller: Ja, auf Gesetzesstufe! Die SVP hätte ihre Initiative zurückgezogen, und die Verhältnismässigkeit, der Fairness-Artikel in der Verfassung, wäre gewahrt geblieben. Wir liessen uns von Spitzenjuristen beraten, die uns das bestätigten. In die Bundesverfassung gehört dieser Text aber definitiv nicht. Klar ist: Die Umsetzung des Parlaments ist nach wie vor pfefferscharf.
Brunner: Dass der FDP-Chef unseren Text ins Gesetz kopieren wollte, zeigt bloss, wie gut er ist. Die Gesetzgebung des Parlaments sei pfefferscharf? Ich bitte dich, Philipp. Was nützt eine gepfefferte Suppe, wenn man danach noch zehn Liter Wasser hinterherschüttet? Die Täterschutzklausel nimmt dem Gesetz die notwendige Schärfe. Bei einem Nein werden auch notorische Wiederholungstäter wie der Raser von Schönenwerd nicht ausgeschafft. Dafür werden die Richter dank der Täterschutzklausel sorgen.
Müller: Oioioi, Toni, jetzt bringst du einiges durcheinander. Wir alle erwarten vom Staat doch, dass er fair mit uns umspringt. Wenn ich eine Straftat begehe, soll sich mein Verschulden beim Urteil auswirken! Das nennt ihr seit ein paar Wochen Täterschutzklausel. Eine schöne Wortkreation, doch hier geht es um Fairness! Zu den Rasern: Ihr habt vor zwei Monaten dafür gestimmt, dass Raser verhältnismässig behandelt werden sollen. Ihr habt verlangt, dass die Richter Ermessensspielraum haben!
Brunner: Das ist nicht dasselbe. Hier geht es um das Urteil an sich, bei uns um die Folge eines Urteils. Ich wundere mich einfach, wenn der Vater der 18-Prozent-Initiative im Zusammenhang mit Ausländern von Verhältnismässigkeit und Fairness spricht! Hättest du Erfolg gehabt, wären unterdessen 560'000 unbescholtene Ausländer aus dem Land gekickt worden!
Müller: Toni, jetzt musst du aber endgültig auf die Bremse treten. Du machst einen SVP-Salat. Damals ging es um die Beschränkung der Zuwanderung aus Drittstaaten, und jetzt geht es um die Art und Weise, wie kriminelle Ausländer weggewiesen werden sollen. Und da hat das Parlament die bessere Lösung, auch wenn sie nicht aus der SVP-Küche stammt.
Die Schweiz schafft heute pro Jahr rund 500 kriminelle Ausländer aus. Herr Brunner, wie viele müssten es sein?
Brunner: Rund 57'000 Ausländer werden in der Schweiz jedes Jahr verurteilt. Von ihnen müssten im Falle einer Annahme der Durchsetzungs-Initiative circa 10'000 das Land verlassen. Das zeigt doch, dass unsere Initiative absolut verhältnismässig ist.
Viele Ausländer in der Statistik sind Kriminaltouristen.
Brunner: Schon, aber wir sprechen ja von Leuten, die hier eine Aufenthaltsbewilligung haben. Die Gegner unserer Initiative sagen, auch bei einem Nein zur Initiative würden künftig 4500 Ausländer einen Landesverweis erhalten. Das glaube ich schlicht nicht. Deshalb werde ich im Fall eines Neins genau nachzählen, wie viele wirklich ausgeschafft werden.
Herr Müller, wie viele Ausschaffungen pro Jahr finden Sie richtig?
Müller: Ich will keine Zahl nennen. Die 500 Ausschaffungen pro Jahr sind gemessen an den Delikten tatsächlich zu wenig. Bisher haben die Gerichte den Spielraum sehr oft zugunsten der Täter gebraucht.
Brunner: Wird sich das denn künftig ändern?
Müller: Ja. Denn wenn jetzt die Durchsetzungs-Initiative abgelehnt wird, kommt das pfefferscharfe Gesetz des Parlaments zum Tragen. Das – bei Gott – viele Leute im Parlament gegen ihre innere Überzeugung angenommen haben. Weil sie den Volkswillen respektieren. Wir haben in diesem Gesetz mehr Delikte als in der Durchsetzungs-Initiative. Wir haben eine obligatorische Landesverweisung. Und die Fairness-Klausel ist sehr restriktiv formuliert. Sie greift nur bei einer schweren persönlichen Notlage und ausnahmsweise. Diese restriktiven Leitplanken kann das Gericht nicht einfach übersehen.
Brunner: Also, ich schlage dir einen Deal vor, für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Initiative abgelehnt wird. Drei Jahre, nachdem das Gesetz des Parlaments in Kraft getreten ist, stecken wir die Köpfe zusammen und zählen die Anzahl Ausschaffungen.
Müller: Absolut einverstanden! Du kannst deine freien Ressourcen nach dem Rücktritt als Präsident sicher brauchen, um mit dem Bundesamt für Statistik die Ausschaffungen auszuzählen.
Brunner: Da sprichst du gleich einen weiteren Skandal an. Das Bundesamt für Statistik hält relevante Daten unter Verschluss. Nämlich die Herkunft der Kriminellen bei bestimmten Delikten. Eigentlich müssten wir die Abstimmung verschieben und erst dann abhalten, wenn das BfS diese Daten herausgerückt hat. Wir zahlen Löhne, damit diese Daten erhoben werden, aber das BfS weigert sich, sie rauszugeben, weil es fürchtet, es könnte die Abstimmung beeinflussen. Das ist doch ein Skandal, Philipp! Das musst du jetzt einfach anerkennen.
Müller: Regst du dich künstlich auf, oder ist das einfach so bei dir
Brunner: Regt dich das nicht auf? Würde mich gar nicht wundern, wenn im Fall Rupperswil, den Rätselmorden, wenn da kriminelle Ausländer dahintersteckten, aber die Behörden kommunizieren es nicht, aus Angst vor der Abstimmung. Die ermordete Frau hat ja am Morgen noch Euro abgehoben. Da läuten doch schon alle Alarmglocken! Da sind offensichtlich ausländische Straftäter am Werk.
Müller: Toni, das ist wirklich nicht gesund, sich so aufzuregen. Dein Blutdruck!
Brunner: Warum? Ich bin jetzt seit acht Jahren Präsident und topfit.
Müller: Wir haben eine Aufgabenteilung gefunden: Der Toni geht zum Bundesamt für Statistik und zählt haargenau mit. Und ich schaue bei den Gerichten, dass die Härtefallklausel nicht missbraucht wird.
Brunner: Höchstwahrscheinlich ist das unnötig, weil die Initiative angenommen wird. Wird sie aber wider Erwarten abgelehnt, machen wir das so.
Müller: Es ändert nichts. Wenn die Durchsetzungs-Initiative abgelehnt wird, gehen wir nicht einfach zur Tagesordnung über. Sondern dann wird das neue, ich sage es noch einmal – pfefferscharfe Regime – aufgezogen. Es werden wesentlich mehr kriminelle Ausländer ausgeschafft werden.
Herr Brunner, welches ist der schlimmste Fehler, der Ihnen in dieser intensiven Abstimmungsschlacht unterlaufen ist?
Brunner: Nun, wir kämpfen bis zum Schluss. Es ist nicht einfach, wenn man als Partei alleine dasteht und sich die Gegner alle zusammenschliessen. Die führen natürlich schon heute den Kampf gegen unsere nächsten Projekte, etwa die Selbstbestimmungs-Initiative. Deshalb hat sich auch die gesamte Corona der Richter, Anwälte und Professoren erhoben.
Herr Müller, was haben Sie falsch gemacht?
Müller: Wir haben wohl etwas zu spät darauf hingewiesen, dass eine Ablehnung der Durchsetzungs-Initiative nicht einfach ein Fortführen des alten Gesetzes bedeutet. Vielmehr wird dann ein ganz neues, viel strengeres Regime zur Ausschaffung von kriminellen Ausländern greifen. Zum Glück ist diese Botschaft in den letzten Wochen doch noch durchgedrungen.
Bald treten Sie beide als Parteipräsidenten ab. Jetzt haben Sie ein letztes Mal die Klingen gekreuzt. Herr Müller, was werden Sie an Toni Brunner vermissen?
Müller: Wir streiten ja immer hart. Heute war es aber besonders laut. Toni, du musst wirklich auf deinen Blutdruck aufpassen. Ich bin ehrlich besorgt. Was ich sagen will: Mit dem Toni kann man wirklich streiten. Aber nachher kann man trotzdem noch zusammensitzen, ein Bier trinken und sogar noch einen guten Jass klopfen.
Brunner: Mit Philipp Müller wäre es eigentlich ganz schön gewesen, wenn er nicht so ein Schwieriger wäre (lacht).
Müller: Du musst doch jetzt etwas Positives sagen!
Brunner: Philipp hat den grossen Vorteil, dass er im Innersten schon spürt, was richtig wäre. Deshalb ist es dir jetzt sicher etwas mulmig, wenn du uns bekämpfen musst. Denn eigentlich haben wir ja das gleiche Ziel. Der Feind sitzt links und das sind die Sozialisten.
SVP und FDP haben sich hart bekämpft. Belastet das die bürgerliche Zusammenarbeit in dieser Legislatur?
Müller: Nein. Wir können sehr gut differenzieren. Es gibt viele andere Dinge, die wichtig sind für die Schweiz. Bei den Finanzen, den Steuern, der Altersvorsorge und den Sozialwerken braucht es den bürgerlichen Schulterschluss. Dort wird er auch klappen.
Brunner: Entscheidend ist ja, wie Philipp mit seiner Niederlage am 28. Februar umgehen kann. Denn: Wenn wir die Mehrheit holen mit der Durchsetzungs-Initiative, dann ist das nicht der Durchmarsch der SVP, sondern dann hat das Schweizer Volk gesprochen. Punkt.
Müller: Genau.