Maske tragen, Abstand halten, kein Sporttraining, keine Chorprobe, keine Geburtstagsfeier, keine Bar, kein Club, keine Partys: 2020 ist ein Jahr des Verzichts und der Solidarität. Jeder und jede schränkt sich ein – um ältere und verletzliche Mitmenschen zu schützen, um zu verhindern, dass es in den Spitälern nicht mehr genügend Platz hat.
Die Politiker greifen extrem wie nie in unser aller Leben ein. Eine Selbstverständlichkeit, dass auch sie sich an die Vorschriften halten, die sie dem Land auferlegt haben – sollte man meinen.
Die Wirklichkeit sah diese Woche anders aus:
Am Montag, während im Kanton Bern Versammlungen von mehr als 15 Personen verboten waren, Konzerte ausfallen mussten, während Musik und Chöre sogar in den Kirchen verboten blieben, spielte die Blaskapelle von Carlo Brunner im voll besetzten Ständeratssaal einen Marsch: Beifall, Jubel, Fröhlichkeit – und all das nur, weil die kleine Kammer mal wieder, wie in jedem Jahr, einen neuen Präsidenten hat.
Am Dienstag, während das Bundesamt für Gesundheit (BAG) dringend zum Verzicht auf Weihnachtslieder riet, während viele Menschen nicht wissen, wie und mit wem sie jetzt noch feiern dürfen, wurde Ueli Maurer 70 Jahre alt. Also trällerten die 200 Nationalrätinnen und -räte aus Leibeskräften ein fröhliches «Happy Birthday» und schwangen rote Luftballone mit Schweizerkreuz, dicht gedrängt, viele ohne Maske.
Da feierten und johlten dieselben Politiker, die gerade noch Ordnungsbussen für Maskenverweigerer beschlossen haben. Die parlamentarische Immunität schützt zwar vor Strafverfolgung, aber nicht vor Ansteckung. Und offenbar auch nicht vor Dummheit.
Im Ausland ist es nicht besser: In Brüssel feierte der ultrakonservative EU-Parlamentarier Jozsef Szajer aus Ungarn trotz strengstem Lockdown eine Sex-Orgie, bis Nachbarn die Polizei holten. Und in Deutschland wurden gleich reihenweise Spitzenpolitiker ohne Maske im Flugzeug oder ICE fotografiert ...
Lautet nicht der wichtigste Führungsgrundsatz seit Menschengedenken: Führen durch Vorbild?
Wenn sich Offiziere, Professoren, Politiker und Chefs nicht an die Vorschriften halten, die sie erlassen haben – weshalb sollte dann der Soldat, der Student, die Schülerin oder die Angestellte diese Regeln respektieren!
Politiker brauchen weder perfekte Menschen zu sein noch sündenfreie Engel. Aber das Mindeste, was sie tun müssen: absolut strikt sämtliche Vorschriften befolgen, die sie allen anderen auferlegen.
So sehr man sich auch über die Party-Politiker von Bern ärgern mag – sie sind nur Politiker. Der Souverän in der Schweiz ist das Volk. Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben in allen wichtigen Fragen das letzte Wort. Auch in Zeiten der Pandemie sind nicht die Politiker wichtig, sondern das Verhalten ihrer Wähler, also jedes Einzelnen von uns.
Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe. Nächstenliebe bedeutet in diesem Jahr freiwilligen Verzicht!