Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty über Behörden im Stand-by-Modus
Die Kantone verschlafen die Energiekrise

Was unternehmen die Kantone, damit es nicht zur Mangellage kommt? Eine Umfrage zeigt: Die Mehrheit verhält sich passiv. Statt Energie wird mit Ideen gespart.
Publiziert: 28.08.2022 um 16:30 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 13:33 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Thomas Meier
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Ohne Energie droht Anarchie. Vor acht Tagen warnte der St. Galler Sicherheits- und Justizdirektor Fredy Fässler eindringlich vor den Folgen einer Netzabschaltung. «Am Bankomat kann man kein Geld mehr abheben», sagte Fässler, der auch als Präsident der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren amtet, in einem Interview mit dem Blick. «Alle Heizungen funktionieren nicht mehr. Man muss frieren. In den Strassen ist es dunkel. Da ist es denkbar, dass die Bevölkerung rebelliert oder dass es zu Plünderungen kommt.» Die staatliche russische Agentur Tass griff diese Aussagen mit Wonne auf – dazu muss man wissen, dass russische Medien nichts lieber verbreiten als Nachrichten, die für Europa Unheil verheissen. Titel der Tass-Meldung: «Polizeichef: Schweiz kann wegen Stromknappheit randalieren.»

Was aber unternehmen die Kantone, damit es gar nicht erst zur Mangellage kommt? Damit die Bankomaten eben nicht abgeschaltet werden und bei niemandem die Sicherungen durchbrennen?

Eine Umfrage bei den Kantonen zeigt: Die Mehrheit verhält sich passiv. Statt Energie wird mit Ideen gespart.

Inzwischen wurden zwar die Krisenstäbe aktiviert und es laufen überall Abklärungen, wie man auf eine Mangellage reagieren würde. Doch im Augenblick sind Freiburg und Schaffhausen die einzigen Kantone, die unmissverständlich sagen: Wir warten nicht, bis es zu spät ist – wir leisten einen eigenen (bescheidenen) Beitrag, um dem Land den Totalausfall zu ersparen. Analog zu den Plänen des Bundes wollen Freiburg und Schaffhausen die Raumtemperatur in den Verwaltungsgebäuden während der kommenden Monate tiefer halten als gewohnt. In Appenzell Ausserrhoden, Basel und Luzern wird ein solcher Schritt derzeit zumindest geprüft.

Die Situation weckt Erinnerungen an Sommer und Herbst 2020, als die Kantone kaum Vorbereitungen für den Corona-Winter trafen. Wieder zeigt sich der Schweizer Föderalismus von seiner fahrlässigen Seite. Man muss sich nur einmal zu Gemüte führen, wie der Kanton Bern seine Rolle für die bevorstehende kalte Jahreszeit sieht: «Im Vordergrund stehen das Zusammentragen von Informationen und Abklärungen, wie der Bund auf die Situation reagieren wird, welche Aufgaben die Kantone zu erledigen haben und welche Massnahmen der Kanton auf seiner Stufe überhaupt ergreifen kann. Der Regierungsrat wird die Massnahmen des Bundes selbstverständlich unterstützen. Ob er darüber hinaus zusätzliche Massnahmen – etwa die Kantonsverwaltung betreffend – beschliessen wird, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.»

Zündende Einfälle zum Energiesparen? Nein, Dienst nach Vorschrift. Es geht allerdings noch ärger. Der Kanton Wallis etwa lässt die Anfrage von SonntagsBlick, wie ein allfälliger Beitrag des Kantons zur Vermeidung einer Mangellage aussieht, unbeantwortet. Umso lauter hatte sich neulich der Walliser Staatsrat und Wirtschaftsdirektor Christophe Darbellay zu Wort gemeldet. Der frühere CVP-Präsident forderte via «NZZ», dass die Skilifte im Winter unter keinen Umständen abgestellt werden dürfen.

Oder dann das Beispiel St. Gallen. Der Kanton teilt lapidar mit: «Die Rolle der Kantone ist auf rein vollziehende und kommunikative Aufgaben beschränkt.» Da warnt der St. Galler Regierungsrat Fredy Fässler vor Rebellionen und Plünderungen – dem Chaos vorbeugen möchte man im bevölkerungsreichsten Ostschweizer Kanton allerdings nicht. Engagieren sich denn wenigstens die St. Galler Städte? «Noch sind keine Massnahmen vorgesehen», schreibt die Stadt St. Gallen. Und Wil teilt mit: «Zurzeit gibt es keine konkreten Pläne. Es wurde aber eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bis Ende Oktober 2022 Massnahmen für nachhaltiges Heizen in der Stadtverwaltung erarbeiten soll.»

Am Mittwoch hat der Bundesrat die Einwohnerinnen und Einwohner des Landes zu «Selbstdisziplin und Genügsamkeit» aufgerufen. Jeder und jede soll freiwillig Energie sparen. Ob das ausreicht, weiss natürlich niemand. Klar ist freilich: Für die meisten Kantone und Gemeinden braucht es eine Extra-Einladung.

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