Milena Moser
Wie, was, Weihnachten?

Die Pandemie kümmert sich nicht um unsere Vorstellungen und Wünsche, sie schert sich nicht um unsere Traditionen. Und sie macht auch für Weihnachten keine Ausnahme. Dieses Jahr müssen wir uns neu erfinden. Wir müssen Weihnachten neu erfinden.
Publiziert: 24.12.2020 um 17:31 Uhr
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Aktualisiert: 31.12.2020 um 13:55 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: Milena Moser
Milena Moser

Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit meinem Sohn. «Ehrlich gesagt finde ich das mit Weihnachten gar nicht so schlimm», sagte er mit beinahe entschuldigendem Unterton. Und ich erinnerte mich, wie er einmal seinen jüngeren Bruder streng ermahnte: «Du weisst doch, wie wichtig Weihnachten für Mama ist!» Dabei verstehe ich ihn besser, als er glaubt. Dass ich ihn und seinen Bruder an Weihnachten nicht sehen werde, ist auch für mich nicht das Schlimmste. Ich vermisse die beiden an Feiertagen nicht mehr als sonst. Und ausserdem musste ich meine Vorstellungen schon in früheren Jahren immer wieder mal über den Haufen werfen und neu überdenken. Dabei liebe ich Rituale und Traditionen. Aber sie müssen lebendig bleiben. Sie können nicht künstlich aufrechterhalten werden.
Der Inhalt, die Essenz ist wichtiger als die Form.

Was nicht heisst, dass ich nicht feiern werde. Ganz im Gegenteil. Mein Mann Victor liebt Weihnachten über alles. Ihm kann es nicht kitschig genug sein. Das Wohnzimmer, in dem ohnehin das ganze Jahr über Lichterketten blinken und bunte Wimpel baumeln, wird Mitte Dezember noch einmal aufgerüstet. Blinkende Sterne hängen neben den rot schimmernden Chilischoten, silberne Schneeflockengirlanden kreuzen die bunten Scherenschnitte. Wir stellen handgeschnitzte Krippenfiguren auf und einen Baum, der unter dem gemeinsam angesammelten Schmuck fast zusammenbricht. Unsere Christbaumkugeln sind keine Kugeln, sie erzählen unsere Geschichte, denke ich und befestige die glitzernde Bohrmaschine an einem Zweig. Mein jüngerer Sohn hatte sie mir als Anerkennung meiner neu gewonnenen handwerklichen Fähigkeiten geschickt.

«Eine geht noch», sagt Victor und wickelt die dritte Blinklichterkette um den Stamm.

Morgens werde ich mit meinen Söhnen telefonieren, für die es dann schon Nachmittag ist. Sie werden wenig Zeit haben, aber ich werde total tapfer sein und mir nichts anmerken lassen. Dann esse ich einen Teller Schweizer Weihnachtsguetsli zum Frühstück, die ich jedes Jahr mit unterschiedlichem Ergebnis in unserem unberechenbaren Ofen backe. Manchmal muss ich dabei improvisieren. Wenn ich keinen Kirsch finden kann, gebe ich einen Gutsch Tequila zum Brunsliteig und, warum nicht, eine Prise Chilipulver. Während Victor kocht, schaue ich mir einen rührseligen Weihnachtsfilm an und lasse dabei meinen Tränen freien Lauf.

Victor macht Tamales, gefüllte Maisrouladen, die in Mais- oder Bananenblätter gewickelt und gedämpft werden. Dieses Jahr wird er sie mit Wildpilzen füllen, mit gebratener Ente, mit grünen Chilischoten und frischem Käse aus Oaxaca. Dazu gibt es zwei verschiedene Arten von Mole, einer speziellen Sauce für festliche Anlässe, die aus etwa 24 Zutaten besteht, unter anderem aus Schokolade.

Wir werden nur zu zweit sein, oder vielleicht auch zu viert. Vielleicht kommen die beiden anderen Mitglieder unserer Mini-Quarantäne-Bubble vorbei, vielleicht aber auch nicht. Wir wissen es nicht und müssen es auch nicht wissen. Victor wird genug für eine ganze Fussballmannschaft gekocht haben, und auf dem Tisch werden plötzlich kleine Päckchen liegen, obwohl wir doch gesagt haben, keine Geschenke, und dann fallen uns bestimmt noch mehr Filme ein, die wir unbedingt sehen müssen. So wird es sein. So, oder ganz anders.

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