Milena Moser über ihren Geburtstag und das Älterwerden
Das Beste kommt erst

Letzte Woche hatte ich Geburtstag. Ich bin jetzt 58 Jahre alt. Die Dekade, die meine Mutter als «die Beste deines Lebens» angekündigt hatte, ist schon bald um. Und so weit ich es bis jetzt beurteilen kann, hat sie recht behalten. Wieder einmal.
Publiziert: 19.07.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2021 um 10:35 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: Barak Shrama
Milena Moser

«Das Leben einer Frau beginnt mit fünfzig», sagte sie immer. Sie meinte damit vor allem das Leben einer Frau, die nach eher traditionellen Mustern lebt, die verheiratet ist, die Kinder hat. Wenn diese die fünfzig erreicht, so ihre Überlegung und auch ihre Erfahrung, sind die Kinder erwachsen, die Verantwortung wird kleiner, das Leben dreht sich nicht mehr vor allem um die Bedürfnisse anderer. Sie erlebte ihre Scheidung als Neuanfang, entschied sich bewusst, allein zu bleiben, und genoss das. Ich hingegen habe mich mit 51 noch einmal ganz gewaltig verliebt. Ich bin nicht meine Mutter – aber ich erlebe diese Jahre ganz ähnlich: als eine grosse Befreiung und gleichzeitig als ein gemütliches Angekommensein.

Ich erinnere mich, als meine Mutter ihren Sechzigsten feierte, sie wohnte damals im Nachbarshaus. Sie hatte ein paar Freundinnen eingeladen, mit denen sie bis spät noch im Garten sass und Wein trank und lachte. Ich weiss noch, wie ich das Fenster schloss, als ich ins Bett ging, und etwas irritiert dachte: «Dass sie in ihrem Alter noch so viel Spass haben kann ...» Mehr als ich, damals? So weit würde ich nicht gehen. Aber jetzt, wo ich selbst in «diesem Alter» bin, bestehe ich mehr denn je darauf, «Spass» zu haben. Jetzt erst recht, sagt mein Lebensgefühl. Und zwar ungeachtet der Umstände, die in den letzten Jahren ja nicht so ideal waren, und ohne grossen Aufwand. Es braucht immer weniger, um mich glücklich zu machen. Und ich bin es immer öfter.

Nicht alle meine Freundinnen teilen dieses Gefühl. Manche sind einiges jünger als ich, manche älter. Diejenigen, die mit mir zusammen auf die sechzig zuhüpfen, haben gemischte Gefühle. «Himmel, sechzig!», seufzte eine von ihnen erst kürzlich. «Was für eine Zahl! Ich weiss nicht, was ich davon halten soll!» Ich schon: Sechzig zu werden, ist auf jeden Fall besser, als nicht sechzig zu werden. Denn die einzige Alternative zum Altwerden ist nicht jung bleiben, sorry, sondern jung sterben.

Neulich wurde ich im Schweizer Fernsehen zu diesem Thema befragt. Da erfuhr ich von einer neuen Hormontherapie, die das Altern des weiblichen Körpers, genauer, seiner Fortpflanzungsorgane, ganz aufhalten soll. «Theoretisch könntest du also mit achtzig noch schwanger werden!», begeisterte sich die Redaktorin. Ich hätte beinahe meinen Kaffee ausgespuckt. Warum zum Teufel würde ich mir so etwas antun? Ich will doch das volle Leben leben, ich will es auskosten, mit allem, was es zu bieten hat! Und da gehört das Alter nun mal dazu. Das Leben, das wissen wir spätestens seit «Lion King», ist ein Kreislauf. Man wird geboren, man ist jung, man ist erwachsen, man ist alt. Und dann stirbt man. Warum sollte ich grosse Teile dieses Kreislaufs ignorieren oder beklagen? Für mich ist dieses erhöhte Lebensgefühl der letzten Jahre direkt mit dem Bewusstsein verkoppelt, dass ich eben nicht mehr ewig Zeit habe. Dass es sehr wohl darauf ankommt, ob mir eine Situation oder eine Beziehung entspricht. Ich verbiege mich nicht mehr so selbstverständlich. Ich kenne mich besser, bin besser mit mir befreundet. Was die anderen denken könnten, kümmert mich weniger. Und ich erlebe den Glanz der kleinen Dinge intensiver, ich empfinde ganz alltägliche Momente als beglückend, den Duft aus der Küche, wenn Victor kocht, die Katzenpfoten in meinem Gesicht, das sanfte Klicken der Tastatur. Und natürlich auch das Poppen von Champagnerkorken und das Flackern der Kerzen auf einem Geburtstagskuchen und die Stimmen und das Gelächter, bis spät in die Nacht ...

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