Am Dienstag quillt meine Mailbox über: Alle gratulieren mir. Zu etwas, das nun wirklich in keinster Weise mein Verdienst ist. Ich verstehe nichts von Fussball. Ich kenne keinen einzigen Nati-Spieler beim Namen. Im Gegensatz zu all denen, die mir jetzt gratulieren, hab ich noch nicht mal das Spiel gesehen. Aber natürlich freue ich mich. Ich freue mich wie blöd.
Wir, denke ich. Wir haben gewonnen. Niemand hätte es geglaubt, aber wir haben gewonnen. Wir, wir, wir.
Denn Fussball heisst dazugehören. Das habe ich in der dritten Klasse schon begriffen, an einem dieser Nachmittage, an denen die anderen Mädchen wieder einmal beschlossen hatten, ich dürfe den Heimweg nicht mit ihnen antreten. Das kam ab und zu vor. So trottelte ich also in sicherem Abstand hinter ihnen her, bis wir am Fussballfeld vorbeikamen. «Unsere» Buben spielten gegen die der Parallelklasse. Irgendjemand rief etwas, und ich blieb stehen, lehnte mich an den Maschendraht, gab vor, zuzuschauen. Die anderen Mädchen zogen weiter und waren bald aus meinem Blickfeld verschwunden. Und dann schaute ich wirklich zu: Das waren dieselben Buben, die sich auf dem Schulweg verprügelten, ineinander verkeilt die Hänge herunterkugelten, die sich mit überschlagenden Stimmen Schimpfwörter nachriefen, die sie gar nicht verstanden. Die jetzt zusammen Fussball spielten, als wäre es das Natürlichste der Welt. Und das war für sie wohl auch.
Egal, wie oft sie während eines Schultages aufeinander losgingen, sie spielten zusammen. Zusammen gegen die anderen. In diesem Moment wünschte ich mir, kein Mädchen zu sein. Oder wenigstens keine Angst vor fliegenden Bällen zu haben.
Fussball heisst zusammen. Fussball heisst dazugehören. Das hat am Ende gar nicht so viel mit Nationalstolz zu tun. Es sind bei weitem nicht nur die Auslandschweizerinnen, die hier mitgejubelt haben. Amerikaner, Kanadier, Holländer und Deutsche gratulierten mir. Und so ähnlich setzt sich dann auch die Gästeliste zusammen, wenn wir am Sonntag auf unserer Terrasse den amerikanischen Nationalfeiertag begehen. Victor legt Würste auf den Grill, die er mit Hilfe des polnischen Metzgers selbst hergestellt hat. Meine in Amerika aufgewachsene Cousine schneidet sie gekonnt in Scheiben und verteilt sie auf die Teller. Sie stösst mit uns Mexikanern, Amerikanern, Kanadiern und Deutschen auf das Land an, das wir alle unser Zuhause nennen. Die einen sind hier aufgewachsen, wie sie. Andere hat es zufällig hierher verschlagen, wie Victor. Wieder andere haben jahrelang von einem Amerika geträumt, das sie hauptsächlich aus Büchern und Filmen kannten. Wie ich. Die amerikanische Nationalhymne kennt an unserem Tisch niemand, nur den Woody Guthrie Song. «This land is my land, this land is your land ...» Amerika heisst für uns alle etwas anderes. Heimat heisst für uns alle etwas anderes. Aber es hat, wie Fussball, mit Dazugehören zu tun.
Selbstverständlich stossen wir auch noch einmal auf den Sieg der Schweizer Nati an. «Proscht», sagt meine Cousine, und das ist auch ungefähr das einzige Schweizerdeutsche Wort, an das sie sich aus Besuchen in der Kindheit erinnert. Das macht nichts.
Zusammen heisst zusammen.