Schriftstellerin Milena Moser durfte nicht mitfliegen
Denn erstens kommt es anders …

… und zweitens, als man denkt: Letzte Woche sass ich also am Flughafen und schrieb über den Schmerz des Abschiednehmens. Ohne zu wissen, dass dieser gleich noch ein wenig verlängert werden würde.
Publiziert: 21.06.2021 um 10:11 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Das schöne Leben der Toten».
Foto: zvg
Milena Moser

Ich hatte kaum den Laptop zugeklappt, als schon zum Einreisecheck gerufen wurde. Und diesen bestand ich nicht. Obwohl ich alle Anforderungen der verschärften Einreisebedingungen erfüllte und auch alle nötigen Unterlagen vorweisen konnte.

Schwer beladen und in Tränen aufgelöst sass ich eine Stunde später wieder im Taxi. Kein Grund zum Mitleid: Immerhin wartete auf mich kein Ausschaffungslager, keine gefährliche Situation, keine ungewisse Zukunft, sondern das wunderschöne Gästezimmer meiner Freundin und die volle Unterstützung ihrer ganzen Familie. Sowie die meiner Freundinnen und Freunde. Ausserdem schien die Sonne. Es war also endlich Sommer geworden, gerade, als ich abreisen wollte. Doch es lagen aufreibende Tage vor mir. Was sich am Ende als einfacher und leicht zu behebender Fehler der amerikanischen Grenzbehörde herausstellte, konnte mir erst einmal niemand erklären. Die folgenden Tage verbrachte ich also am Telefon und am Computer, von einer Behörde zur nächsten verwiesen, wie auf einem sich immer schneller drehenden Karussell. Oder eher einer Achterbahn, von Hoffnungsschimmer zu Enttäuschung und wieder zurück. Mein amerikanischer Anwalt oder eher Ex-Anwalt gab mir den vermutlich nicht ganz legalen Rat, nach Mexiko zu fliegen und die Grenze dann in Tijuana zu Fuss zu überqueren – und verlangte dann gleich 305 Dollar und 84 Cents für diese Perle der Weisheit.

Was ich gelernt habe: Ich habe mehr Freunde auf beiden Seiten des Ozeans, als ich mir bewusst war. Von ganz unerwarteten Seiten wurde mir Unterstützung angeboten. Und: Ich kann durchaus um Hilfe bitten, wenn es sein muss. Und diese dann auch annehmen. Das ist nicht unbedingt meine grösste Stärke. Vielleicht schubst mich das Leben deshalb immer wieder mal in solche Abenteuer, damit ich das noch lerne?

Ausserdem wurde mir in diesen Tagen bewusst, dass ich nicht mehr ganz so schnell durchdrehe. Früher fühlte ich mich wie ein Schilfhalm, den unvermeidlichen Föhnstürmen und Wüstenwinden des Lebens ausgeliefert. Ich brauchte ungewöhnlich lange, um zu verstehen, dass ich zwar keinen Einfluss auf die Ereignisse habe, wohl aber darauf, wie ich mit ihnen umgehe.

So blieb ich trotz der wachsenden Verzweiflung verhältnismässig gelassen. Oder eher, ich empfand eine der Situation angemessene Panik. Ich haderte weniger mit der Situation, als ich es früher getan hätte, ich setzte meine Kräfte gezielter ein. Oder ich versuchte es wenigstens. Am besten fühlte ich mich in den kurzen, trügerischen Momenten, in denen ich mir einbildete, ich wisse, was zu tun sei. Leider hielten diese nie lange an.

Niemand verstand das Problem. Niemand konnte mir sagen, was ich tun musste. Bis sich die Schweizer Botschaft in Washington einschaltete und das Missverständnis mit zwei Telefonanrufen aus der Welt schaffte. Meine Eheschliessung war nicht registriert worden, so einfach, und so verhängnisvoll. Vier Tage später machte ich mich schon wieder auf den Weg zum Flughafen, und diesmal durfte ich auch einsteigen.

Das Schlimmste, verstand ich, war das Nicht-Wissen. Nicht umsonst ist das einer der wichtigsten und schwierigsten Grundsätze der zenbuddhistischen Lehre. Das Nicht-Wissen zu akzeptieren und auszuhalten, ist vermutlich der Schlüssel zu einem halbwegs gelassenen Leben. Wenn ich das nur nicht immer vergessen würde! Vielleicht war das der Sinn dieser Erfahrung?

Oder vielleicht wollte die Schweiz mir einfach noch schnell zeigen, dass sie durchaus Sommer kann …

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