Milena Moser
Nachrichtensperre

Letzte Woche war es so weit: Ich hatte genug. Ich konnte keine einzige schlechte Nachricht mehr ertragen. Oder verarbeiten. Oder auch nur aufnehmen. Es war Zeit für die Vogel-Strauss-Methode.
Publiziert: 04.07.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2022 um 12:31 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erschien ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».
Foto: Barak Shrama Photography
Milena Moser

Ich war noch gar nicht richtig wach, als die Nachricht auf meinem Handy aufflackerte. Nur schon das: dass ich morgens nach dem Aufwachen als Erstes gleich zum Handy greife. Wann zum Teufel hab ich mir das angewöhnt? Vor ein paar Jahren noch wäre mir das nie in den Sinn gekommen. Da wusste ich meist nicht mal, wo ich mein Handy gelassen hatte. Wann hat sich dieser Irrglaube in mir verankert, dass ich immer alles sofort wissen muss? Was ist auf der Welt passiert, während ich schlief oder versuchte zu schlafen? Meist nichts Gutes.

Das war auch an diesem Morgen nicht anders. Der oberste amerikanische Gerichtshof hatte das Recht auf Abtreibung gekippt. Damit hatten wir alle gerechnet, seit letzten Monat der Entwurf dafür geleakt worden war. Und doch war es ein Schock. Ich reagierte darauf wie ein dreijähriges Kind: Ich schmiss das Gerät unters Bett. Als könnte ich die Nachricht damit ungesehen und ungeschehen machen. «Wenn ich dich nicht sehen kann, bin ich unsichtbar!»

Was hätte es für einen Unterschied gemacht, wenn ich die Nachricht ein paar Stunden später erfahren hätte? Nach dem ersten doppelten Espresso hätte ich vermutlich erwachsener darauf reagiert. Andererseits war die erste Regung des Tages vielleicht auch die ehrlichste: Ich mag nicht mehr, ich kann nicht mehr, ich krieg es nicht mehr auf die Reihe. Klimawandel, Krieg, Pandemie, Wirtschaftskrise ... Und das ist nur das, was auf der weiten Welt passiert. Dazu kommt die Krise – der Untergang? – des Landes, das ich nicht ohne Mühen und Opfer zu meinem gemacht habe, Zukunftssorgen, diverse Schicksalsschläge in meiner näheren Umgebung und – wie gesagt: Es reicht.

Victor wacht ganz anders auf als ich. «Hast du den Taucheranzug gefunden?», murmelt er verschlafen, mit einem Bein noch in seinem Traum. Später erzählt er mir, dass wir in einem Hausboot in Sausalito lebten und Besuch von Filmemachern hatten, die sich für mein letztes Buch interessierten. Ich war offenbar, wie jeden Morgen, bereits schwimmen gegangen, so hielt er die Crew mit feinen Chilaquiles und Geschichten aus Mexiko bei Laune, bis ich klatschnass wieder an Deck kletterte. Victors Träume sind für ihn so real wie das, was er tagsüber erlebt. Er erzählt sie auch so realistisch, dass ich meine, sie miterlebt zu haben. Und doch bin ich immer auch ein wenig eifersüchtig, denn ich erinnere mich kaum je an meine Träume. Dafür hat Victor längst keine Geduld mehr. Seit wir uns kennen, was ja auch nicht erst seit gestern ist, sagt er mir, dass Träumen, so wie das Erinnern des Geträumten, gelernt und trainiert sein will wie alles andere auch. Zum Beispiel, indem man seine Träume aufschreibt oder wenigstens die Traumfetzen, die hängen geblieben sind, auch wenn es nur ein Gefühl ist, ein Eindruck, eine Ahnung. «Selber schuld, wenn du ein Telefon statt eines Traumtagebuchs auf dem Nachttisch liegen hast!», knurrt er.

Und so suche ich mir aus meinem Stapel unbenutzter Notizbücher eines mit einem irgendwie mystisch anmutenden Symbol auf dem Umschlag und lege es an meine Bettseite. Das Telefon wird jetzt über Nacht in einem anderen Zimmer eingestöpselt. «Ich will gar nichts wissen», sage ich streng und schliesse sicherheitshalber die Tür zwischen uns.

Und dann lege ich mich hin, um zu träumen.

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