Feminismus trägt hierzulande für viele immer noch allein den Namen Alice, und Alice Schwarzer selbst hat diese Fiktion akzeptiert. Eben 80 geworden, war sie auf allen Kanälen. Energisch und instinktsicher versteht sie es nach wie vor, ihre Anliegen zu skandalisieren und damit mediengerecht aufzubereiten.
Die meisten Frauen würden belogen, sagt Schwarzer zum Beispiel. Das leuchtet ein. Denn erstens profitiert von der Frauenbefreiung vor allem die gut ausgebildete Frau, die an die gläserne Decke starrt und überlegt, wie sie diese durchbrechen könnte. Aber selbst sie erliegt der Illusion, alles haben zu können, eine Karriere bei McKinsey, Leidenschaft, Liebe, Kinder, einen Kasten voller Manolo Blahniks, Übermüdung inbegriffen. Und immer noch scheint der gesellschaftliche Zwang übermächtig, zu lächeln, brav, schön und ewig jung zu sein.
Und die Männer? «Ich bin keine Männerhasserin», sagt Alice Schwarzer. Tatsächlich beharrte der Feminismus à la Alice fast immer darauf, dass auch Männer Menschen sind. Und Belogene. Seit je. Denn Patriarchat bedeutete ja noch nie die Herrschaft der Männer, sondern immer schon die Herrschaft weniger Männer. Die männliche Mehrheit wurde von diesem System ebenso gegängelt wie die weibliche. Sie wurde dazu gebracht, unbarmherzig gegen sich und Schwächere zu sein, und als Kanonenfutter missbraucht.
Entsprechend kann auch nicht dem Feminismus die Schuld gegeben werden für die viel beschworene «Verunsicherung der Männer». Den Grund für die aktuelle Krise verortet eine Studie der Global Boyhood Initiative vielmehr im Wiedererstarken der alten Stereotype: «Boys don't cry», Jungs heulen nicht, dieser Leitspruch habe wieder für viele Gültigkeit. Härte, Brutalität, Gewalt würden wieder vermehrt positiv mit Männlichkeit verknüpft, frauenverachtende Tiktok-Stars wie Andrew Tate hätten einen grossen Einfluss: Frauen, sagt Tate etwa, sollten «die Fresse halten», sie sollen «Kinder haben, zu Hause bleiben und Kaffee kochen».
Es seien solche Rollenbilder, die die jungen Männer unter einen immensen Druck setzten. Was könnte ihnen helfen? Aufklärung. Das kritische Befragen der Geschlechterstereotype. Mit anderen Worten: Feminismus.
Männer brauchen den Feminismus, der Feminismus braucht die Männer. Alles wird gut.
Ursula von Arx hält Alice Schwarzer manchmal für eine furchtbare Vereinfacherin. Und sie mag sie für diese furchtbar einfache Losung: «Das Ziel ist der ganze Mensch!» Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.