Nie meinen wir so sehr bei uns zu sein, wie wenn wir ein Gefühl haben. Eigentlich müsste es nicht heissen: Ich denke, also bin ich. Sondern: Ich fühle, was ich bin.
Leider ist auch dies Unsinn. Denn natürlich sind Gefühle formbar. Und wie! Man kann sie lernen, verlernen, ausdrücken, unterdrücken, verklären, verachten, verspotten, manipulieren, analysieren, psychologisieren, hintergehen, ausbeuten.
Und dementsprechend kann auch versucht werden, dieses «Unwohlsein» genauer zu befragen, das einzelne der Konzertbesucher in Bern und Zürich offenbar verspürten im Angesicht von weissen Musikern mit Dreadlocks.
Fleischkäsige Humorlosigkeit
Taten sich diese – Achtung, hier kommt eine Unterstellung! – wohl primär weissen, privilegierten Menschen nicht auch selbst einen Gefallen, indem sie sich in ihrer vorauseilend antirassistischen Gesinnung bestätigen konnten? Erlebten sie einen kleinen Machtrausch beim Ausüben von «Gefühlsterror» («NZZ») für die gute Sache? Ist es nicht auch ein Akt von Bevormundung, wenn sich gut situierte Empathiebegabte ungefragt zuständig zeigen für die Verteidigung potenziell Marginalisierter?
Könnte es eventuell sein, dass sie in ihrem Kampf gegen «kulturelle Aneignung» etwas erbarmungs-, vielleicht sogar humorlos waren? Denn wahrscheinlich schlägt unter den meisten fleischkäsigen Gesichtern mit Rastafrisur weniger ein geldgieriges Ausbeuter- und vielmehr ein sehnsüchtig-bewunderndes Fanherz.
Natürlich ist es auffällig ungerecht, dass Duke Ellington, Chuck Berry oder Muddy Waters erfunden haben, womit Benny Goodman, Elvis Presley oder die Rolling Stones richtig reich wurden. Die Geschichte der kulturellen Aneignung, ökonomisch analysiert, ist auch eine Geschichte des Rassismus.
Überall wird geklaut – zum Glück!
Aber: Viele grosse und kleine Künstler haben gestohlen – oder sich zu eigen gemacht –, was sie liebten und brauchen konnten. Zum Glück! Oder dürfen Schweizer Köche keine Pizza (neapolitanisches Kulturgut) kreieren? Hätte John Coltrane kein Saxofon (belgische Erfindung) berühren dürfen?
Kulturelle Aneignung sollte nicht aufhören, sondern im Gegenteil in alle Richtungen stattfinden. Dann kann das «Liebeslied auf unser Bastard-Ich» angestimmt werden, das der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie sang, der Autor der «Satanischen Verse». Er feierte darin die «Bastardisierung, die Unreinheit», er plädierte für kulturelle «Veränderung durch Vereinigung». Alles wird gut.
Ursula von Arx hat von «Tausendundeine Nacht» und Alfred Hitchcock erzählen gelernt und trägt lieber indianischen Schmuck als eine Schweizer Tracht. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.