Begegnet man derzeit einer maskentragenden Person, sucht man sie schnell mal ab nach Anzeichen von Kränklichkeit oder übergrosser Ängstlichkeit. Man verdächtigt sie, das menschliche Gesicht einzig als eine Schleuder von Spucke zu begreifen, als Herd von Viren, Bakterien, Ansteckung. Wovor fürchtet sie sich? Woran leidet sie? Was hat sie zu verbergen? Oder wird die Maske etwa als textile Trophäe vorgeführt, als Hinweis auf moralische Überlegenheit, Stichwort Virtue Signaling?
Noch nicht lange ist es her, da begannen die Interpretationsrädchen beim Gegenteil zu drehen: Nämlich wer keine Maske trug, der erschien als zweifelhaft. Ein Corona-Leugner? Ein unverschämter Egoist? Oder hatte man es mit einem zu tun, der die Maskenverweigerung zum Symbol von Revolte hochstilisierte, zum Pfand gegen Staatsgewalt, Kontrolle, Bevormundung, zum Platzhalter der Idee vom rückhaltlos selbstbestimmten Leben?
«Grundlage des Humanismus»
Seit in Deutschland mancherorts wieder Maskenpflicht herrscht, ist die Diskussion um deren Angemessenheit neu entfacht. Und abermals gibt es welche, die der staatlich verordneten Gesichtsvermummung mit Alarmbereitschaft und grossem Pathos entgegentreten.
Die eigentlich zentrale Frage nach deren Wirksamkeit im Kampf gegen Corona interessiert dabei nur am Rande. Viel wichtiger scheint den Maskenverächtern die prinzipielle Gefahr zu sein, der «zivilisatorische Einschnitt», der in ihren Augen von der Maske ausgeht.
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann etwa zeigte sich in der «FAZ» überzeugt, dass es in Deutschland bereits unzählige Kinder gebe, «die das menschliche Gesicht für etwas Obszönes halten», für etwas also, «das man ebenso wenig entblösst herumtragen sollte wie Gesäss oder Genital». Dabei, so Kehlmann, sei es doch «die Grundlage eines zivilisierten Humanismus», einander mit entblösstem Gesicht zu begegnen. Denn das Antlitz sei der «Spiegel unserer Seelen».
Schau mir in die Augen, Kleines
Schon. Aber eben, muss man die Maske gleich so hoch hängen? Wir gewöhnten uns relativ leicht an sie und ebenso leicht gewöhnten wir sie uns wieder ab.
Abgesehen davon: Gelten nicht auch die Augen als Spiegel der Seele? Als Forscher der englischen Universität Cardiff während der Pandemie eine Untersuchung zur Akzeptanz der Maske machten, stellten sie fest, dass Menschen mit Maske als signifikant attraktiver bewertet wurden als Menschen ohne. Sie erklärten dies unter anderem damit, dass man sich im verhüllten Angesicht auf die Augen des Gegenübers konzentriere. Alles wird gut.
Ursula von Arx trug die Maske immer, wenn sie musste, und nie gern. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.