Obdachlose, Arbeitslose, die Durchgedrehten, die Flüchtenden und Geflohenen – sie fallen auf den Strassen der Städte besonders auf, wenn die anderen, die Versorgten, Erfolgsgewohnten bei der Arbeit sind oder beim Zahnarzt. Aber vielleicht tun wir ja alle immer nur so, als wehrten wir uns gegen die Zumutungen des Lebens. In Wirklichkeit jedoch haben wir hingenommen, dass sie mit ihren Hunden, Flaschen, Wolldecken und wir mit unseren Vergnügungen, Wohnungen, Wünschen am Ende sind.
Der Sommer ist vorbei. Er war dürr, überhitzt, überflutet. Wie kalt wird der Winter werden? Wie viel Tod wird er bringen? Wie viel Angst, Armut, Einsamkeit? Hat die Welt eine Zukunft? Habe ich eine Zukunft? Wie elend wird diese Zukunft sein? Total elend oder nur beinahe elend? Oder sogar fast schön elend? Kann man auf irgendeine Wende hoffen? So viele Zweifel, Fragen, Unsicherheiten.
Sehnsucht nach dem Eindeutigen
«Need for closure» nennen Psychologen den Wunsch, klare Antworten zu erhalten, Uneindeutiges abzuwehren. Sie sehen darin einerseits eine Gefahr, weil es empfänglich mache für autoritäre Ideologien. Andererseits begreift natürlich auch die Psychologie, dass es motivierend ist, Störendes möglichst schnell zu einem Abschluss zu bringen.
Li Xiuping von der National University of Singapore und ihre Kollegen haben «closure» (Verschluss, Auflösung, Umschliessung) wörtlich genommen: Sie untersuchten, ob man unangenehme Gefühle, also etwas Psychisches, mildern oder sogar zum Verschwinden bringen kann, indem man für sie ein physisches Äquivalent schafft und dieses physisch wegschliesst.
Ein Couvert macht den Unterschied
Und tatsächlich: Es funktioniert. Das Forschungsteam um Li hat Studierende gebeten, eine Entscheidung, die sie bereuen, niederzuschreiben, das Blatt in einen Briefumschlag zu stecken, diesen zuzukleben und abzugeben. Eine Kontrollgruppe schrieb die mit Reue beladene Tat ebenfalls nieder, ohne jedoch das Papier in einen Briefumschlag zu stecken. Anschliessend stellte sich heraus, dass diejenigen mit Briefumschlag sich signifikant besser fühlten als die ohne.
Somit ist es wissenschaftlich bewiesen: Der Sorgenfresser ist kein plüschiges Fabelwesen. Der Sorgenfresser wirkt wirklich. Er frisst die Sorgen weg. Basteln Sie sich einen Sorgenfresser. Alles wird gut.
Ursula von Arx hat Mühe zu glauben, dass das Verschliessen der Sorgen wichtiger sein soll als das Aufschreiben. Ob es darum abschliessbare Tagebücher gibt? Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.