Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Es ist Zeit, zu fragen, was warum falsch gelaufen ist

Schlimmstenfalls könnte uns Sars-Cov-2 über Jahre immer wieder beschäftigen. Dennoch dürfen wir hoffen, dass es nun ein Ende mit dem Schrecken hat, den das Virus 24 Monate lang verbreitete. Es ist darum auch der Moment, zu fragen, was in dieser Zeit falsch gelaufen ist.
Publiziert: 06.02.2022 um 02:08 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 13:53 Uhr
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Ja, wir schreiben P-ENDE-mie über unsere heutige Berichterstattung zu Covid, mit Betonung auf «Ende». Aber natürlich ist Corona nicht vorbei. Die Krankheit wird uns die kommenden Wochen weiter beschäftigen, und es wäre fatal, insbesondere die Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen rasch aufheben zu wollen. Überhaupt wird das Virus spätestens im Herbst wieder Thema sein. Und auch danach vielleicht immer mal wieder.

In den Jahren 1889 bis 1891 fegte die sogenannte Russische Grippe um den Globus und forderte – bei einer Weltbevölkerung von 1,5 Milliarden – eine Million Tote. Heute geht die Forschung davon aus, dass es sich beim Erreger um ein Coronavirus handelte, das vom Rind übergesprungen war. Die Symptome der Russischen Grippe waren denen von Sars-Cov-2 verblüffend ähnlich: Erkrankungen der Atemwege, Geschmacks- und Geruchsverlust, multiple Entzündungen der inneren Organe. Die Genesung dauerte oft längere Zeit. Und es starben in erster Linie über 60-Jährige.

Warum an diese alte Seuche erinnern? Im Jahr 1900 tauchte dasselbe Virus mutmasslich erneut auf. In milderer Form, gleichwohl gefährlich genug, dass Harald Brüssow, Virologe an der belgischen Universität Leuven, von einer «Wiederholung der Pandemie von 1889» spricht.

Der Erreger der Spanischen Grippe, die zwischen 1918 und 1920 wütete, war danach ebenfalls nicht aus der Welt. Er löste auch die verheerenden Ausbrüche von Influenza in den Jahren 1928/29 und 1934 bis 1936 aus.

Nein, Corona ist nicht vorbei. Wir dürfen indes hoffen, dass es ein Ende mit dem Schrecken hat, den das Virus 24 Monate lang verbreiten konnte. Es ist ein Augenblick für Erleichterung und Freude! Ebenso allerdings ist es der Augenblick, der 13'000 Verstorbenen in der Schweiz zu gedenken.

Und es ist Zeit, zu fragen, was warum falsch gelaufen ist.

Dem Bundesamt für Gesundheit wird vorgehalten, es habe zu Beginn der Pandemie von der Maske abgeraten. Die Sache selbst muss nicht mehr erörtert werden. Entscheidend ist: Sie zeigt, wie inkompetent die Abteilung für übertragbare Krankheiten damals geleitet wurde. Der fehlbare Chefbeamte ist mittlerweile in Rente. Doch ist das Personal an den Schlüsselstellen des BAG heute tatsächlich auf der Höhe der Wissenschaft?

Wie sieht es ganz allgemein aus mit der Überwachung und Bekämpfung gefährlicher Krankheiten? Über den bedenklichsten Totalausfall dieser Pandemie wurde bis heute gar nie gesprochen. Das Labor Spiez, das dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz angegliedert ist, wäre eigentlich zuständig für biologische Bedrohungen. Nur hat man aus Spiez zum Thema nie etwas gehört.

In der Schweiz gibt es auch das Institut für Virologie und Immunologie. Es gilt international als vorbildlich bei der Erforschung und Beobachtung – von Tierseuchen. Das IVI ist eine Einrichtung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Was für Schwein und Huhn recht ist, sollte uns nur billig sein. Darf man also damit rechnen, dass der Bund ein solches Kompetenzzentrum für Menschen einrichtet? Wie eine Anfrage beim BAG zeigt, sieht es nicht danach aus.

In jeder Krise passieren Pannen. Die ganze Menschheit war während zweier Jahre ohne Geländer unterwegs! Umso mehr sollte es jetzt darum gehen, strukturelle Mängel zu erkennen und für künftige Gefahren zu lernen. Derzeit deutet jedoch sehr vieles darauf hin, dass das nicht passiert. Man klopft sich auf die Schultern, zieht einen Schlussstrich und lässt die Vergangenheit Vergangenheit sein.

Am 2. Februar 2020 erschien an dieser Stelle das erste Editorial, das sich Corona widmete. Darin hiess es: «Krankheiten bringen Leid und Tod. Ebenso aber sind sie Projektionsflächen, Fantasiebeflügler, Gewinnbescherer. Doch vor allem legen sie auf schonungslose Weise die Grenzen der menschlichen Vernunft offen – und gewähren Einblick in ungeahnte Abgründe.»

Die Abgründe, in die wir blicken mussten, waren effektiv grauenerregend: Vorurteile, Sturheit und Wut bis hin zum blanken Hass. Die allermeisten Menschen freilich liessen sich von diesem Strudel nicht mitreissen. Es gab Zeiten grosser Empathie und Rücksichtnahme, Nachbarinnen halfen Nachbarn und zwei Drittel der Bevölkerung liessen sich impfen. Über allem aber steht das Engagement der Angestellten in den Spitälern, in den Schulen und Kitas sowie in anderen Berufen der sogenannten kritischen Infrastruktur.

Auch deshalb darf man nun nicht einfach einen Schlussstrich unter die Erfahrungen der letzten beiden Jahre ziehen. Das Wissen darum, wer und was wirklich wichtig ist, muss Covid überleben.

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