«Wir freuen uns, dass die Massnahmen aufgehoben werden»
2:04
Jugendliche zu den Lockerungen:«Wir freuen uns, dass die Massnahmen aufgehoben werden»

Nach 712 Tagen Pandemie
Die Schweiz zwischen Vorfreude und Vorsicht

Nach zwei Jahren Pandemie taut die Schweiz allmählich auf. Während die Zuversicht wächst, machen sich auch Zweifel breit. Öffnet die Schweiz zu schnell?
Publiziert: 06.02.2022 um 02:08 Uhr
|
Aktualisiert: 06.02.2022 um 10:15 Uhr
1/6
Die Homeoffice-Pflicht sowie die hohen Fallzahlen hielten viele Menschen von einem Restaurantbesuch ab.
Foto: Keystone
Sven Zaugg und Camilla Alabor

Eine Welle von beispielloser Wucht: Mehr als 30'000 Ansteckungen registriert die Schweiz derzeit pro Tag; die Dunkelziffer liegt bei 100'000 Fällen. Wen es noch nicht erwischt hat, der ahnt: Es ist nur eine Frage der Zeit.

Keine gemütliche Aussicht, eigentlich.

Die tiefe Hospitalisierungsquote ist das Licht am Ende des Tunnels

Und doch breitet sich in diesen Tagen auch die Zuversicht aus. Ein Gefühl, dass wir am Ende des Tunnels tatsächlich dem Licht näherkommen. Die Hoffnung, dass wieder Normalität einkehrt.

Grund für den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung ist die tiefe Hospitalisierungsquote, aber ebenso die Absicht des Bundesrats, die meisten Massnahmen in absehbarer Zeit aufzuheben – und damit gleichsam das Ende der Pandemie einzuläuten.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Zertifikatspflicht, Einschränkungen für private Treffen, Bewilligungspflicht für Grossanlässe: All dies könnte schon in zwei Wochen nicht mehr gelten. Bundespräsident Ignazio Cassis (60) nennt es «eine gute Dosis Freiheit». Wirtschaftsverbände und grosse Teile der Bevölkerung frohlocken gleichermassen. «Wurde Zeit, dass sich endlich was tut», kommentiert ein Blick-Leser die angekündigten Öffnungsschritte – und erntet breite Zustimmung.

Auch, dass die Schweizer bereits munter Frühlings- und Sommerferien buchen, ist Ausdruck dieser Stimmung. Oder dass nach zwei Jahren Zwangspause der Open-Air-Sommer seine Rückkehr ankündigt. Zum Beispiel auf dem Berner Gurten.

Bundesrat mit zwei Vorschlägen

Das Land wagt Hoffnung – und zeigt sich zugleich besorgt. Zwei Herzen schlagen in seiner Brust.

Denn das Tempo, das der Bundesrat vorschlägt, ist nicht allen geheuer. Die baldige Aufhebung der Maskenpflicht in Bus und Bahn etwa, beim Shopping und im Kino weckt bei manchen mulmige Gefühle. Tatsächlich hat der Bundesrat am Mittwoch auch eine zweite, moderatere Fassung seiner Pläne in die Vernehmlassung geschickt, wie eine Rückkehr in die Normalität aussehen soll. Diese Variante sieht vor, die Maskenpflicht erst in einem zweiten Schritt abzuschaffen.

Nicht nur die Bevölkerung scheint hin- und hergerissen zwischen Freude und Vorsicht. Auch Wirtschaftsbranchen, die unter der Pandemie besonders stark gelitten haben, trauen der frohen Botschaft aus Bern nicht ganz.

«Egal welche Öffnungen es gibt – die Isolationspflicht bleibt»
0:52
Gesundheitsminister Berset:«Die Isolationspflicht bleibt»

Noch kein Ansturm in Gastro-Branche

Die Wirte etwa erkennen bei den Buchungen für die kommenden Monate noch keinen Ansturm, wie Urs Pfäffli sagt, Präsident des Branchenverbands Gastro Zürich. Vielmehr sei der Januar «ziemlich schlecht» gelaufen, und dies sei angesichts der Homeoffice-Pflicht und der hohen Fallzahlen wenig überraschend. Pfäffli sieht in der voraussichtlichen Abschaffung der Massnahmen einen «Hoffnungsschimmer», sagt aber auch: «Wie schnell die Gäste zurückkommen, wird sich erst zeigen.»

Auch Künstler und Event-Veranstalter müssen weiterhin mit Unsicherheiten leben. Die grossen Sausen kommen in mikroskopischer Dosierung. «Viele Vorverkäufe laufen derzeit immer noch sehr schleppend», sagt Stefan Breitenmoser von der SMPA, dem Verband der professionellen Veranstalter. Erst müsse das Publikum wieder Vertrauen fassen: «Dem Kultursektor steht ein langer Weg zurück in die Normalität bevor.»

Allmählicher Übergang

Freudentaumel sieht anders aus. Nach zwei Jahren enttäuschter Hoffnungen kann das aber kaum verwundern. Das Virus schlägt bekanntlich immer wieder fiese Finten.

Der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri (60) formuliert es so: Einen zeitlich definierbaren «Ausstieg» aus der Pandemie gebe es nicht, wohl aber einen «allmählichen Übergang von der epidemischen in die endemische Form» des Infektionsgeschehens. Allerdings seien neue bedenkliche Virusvarianten nicht auszuschliessen.

Herbstplanung hat schon begonnen

Entsprechend planen die Kantone bereits für den Herbst. «Wir müssen die notwendigen Impfstrukturen aufrechterhalten», sagt Hauri. «Je höher die Impfquote im Herbst 2022 ist, desto besser sind wir gerüstet.» Impfen bleibt der Königsweg.

BAG warnt: Nicht alle sofort ins Büro

Seit Donnerstag gibt es keine Homeoffice-Pflicht mehr. Das Bundesamt für Gesundheit warnt die Arbeitgeber aber dennoch, jetzt nicht alle Mitarbeitenden sogleich ins Büro zu holen. Insbesondere Risikopersonen sollten weiterhin nach Möglichkeit von zu Hause aus arbeiten. Am Freitag diskutierten Vertreter des Bundes mit Kantonen, Wirtschaftsverbänden und Sozialpartnern über die Rückkehr in die Normalität. SonntagsBlick liegt das Protokoll der Sitzung vor. Ebenfalls warnt der Bund die Arbeitgeber vor einem «allzu raschen Rückbau der Schutzkonzepte (z. B. Plexiglaswände)». Für den Herbst rechnet das BAG mit einem Ansteigen der Fallzahlen. Die höheren Ansteckungen im Winter dürften dann zu einer erhöhten Immunität im Sommer führen. Und mit Blick in die noch fernere Zukunft schreibt das BAG: «Ein Aufflammen leicht veränderter Stämme ist zu erwarten.»

Seit Donnerstag gibt es keine Homeoffice-Pflicht mehr. Das Bundesamt für Gesundheit warnt die Arbeitgeber aber dennoch, jetzt nicht alle Mitarbeitenden sogleich ins Büro zu holen. Insbesondere Risikopersonen sollten weiterhin nach Möglichkeit von zu Hause aus arbeiten. Am Freitag diskutierten Vertreter des Bundes mit Kantonen, Wirtschaftsverbänden und Sozialpartnern über die Rückkehr in die Normalität. SonntagsBlick liegt das Protokoll der Sitzung vor. Ebenfalls warnt der Bund die Arbeitgeber vor einem «allzu raschen Rückbau der Schutzkonzepte (z. B. Plexiglaswände)». Für den Herbst rechnet das BAG mit einem Ansteigen der Fallzahlen. Die höheren Ansteckungen im Winter dürften dann zu einer erhöhten Immunität im Sommer führen. Und mit Blick in die noch fernere Zukunft schreibt das BAG: «Ein Aufflammen leicht veränderter Stämme ist zu erwarten.»

Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erwartet, dass «post-pandemisch eine grosse zusätzliche Krankheitslast» bleibt. Das zeigt das Protokoll einer Sitzung von Vertretern des Bundes mit Kantonen, Wirtschaftsverbänden und Sozialpartnern am Freitag, das SonntagsBlick vorliegt.

Wiederkehrende Wellen wahrscheinlich

Mit anderen Worten: Auch dann, wenn das Virus endemisch geworden ist, sind wiederkehrende Krankheitswellen wahrscheinlich. Diese dürften im Winter grösser ausfallen als im Sommer, da sich in der kalten Jahreszeit die Ansteckungen häufen.

Experten des Bundes gehen davon aus, dass neue Virusvarianten auftauchen. Es sei ein «Aufflammen leicht veränderter Stämme» zu erwarten, warnte das BAG. Wann dies geschehe, sei unklar. Allerdings gibt es einen grossen Unterschied zu früheren Pandemien – die Impfung.

Neue Normalität

Und so bereitet sich die Schweiz eher verhalten auf die neue Normalität vor. Zumal die Spuren, die die Pandemie hinterlassen hat, so schnell nicht verschwinden: zum einen fast 13'000 Menschen, die am Virus gestorben sind. Zum andern jene, die noch Monate nach ihrer Erkrankung an Long Covid leiden. Und nicht zuletzt jene, deren Geschäft oder Arbeitsplatz dem Virus zum Opfer gefallen ist.

So viel Leid die Pandemie auch gebracht hat, so hat sie doch viele Gewohnheiten erschüttert – aus Sicht mancher nicht nur zum Schlechten. So dürfte Homeoffice so schnell nicht wieder verschwinden: Laut Umfragen möchte eine Mehrheit der Mitarbeiter davon auch in Zukunft profitieren.

Ferien in Schweiz boomen

Zudem hat die Krise die Hinwendung zum Lokalen verstärkt. Das zeigt sich laut Soziologin Katja Rost etwa daran, dass Ferien in der Schweiz in manchen Kreisen geradezu ein Statussymbol geworden sind. Aber auch daran, dass viele Unterländer während der Zwischensaison zum Arbeiten ein paar Wochen in den Bergen verbringen.

In Davos GR zum Beispiel stieg die Anzahl der Logiernächte von Ferienwohnungsbesitzern von 840'000 im Jahr 2019 auf 920'000 im Jahr 2021. Auch in GstaadBE stellt man eine höhere Nachfrage nach Zweitwohnungen fest – und reagiert auf das höhere Aufkommen während der Zwischensaison mit neuen Angeboten.

Liebe zum Eigenheim

So haben Bürolisten heute die Möglichkeit, bei einem Fünfsternehotel hinter die Kulissen zu schauen. Oder vor der Arbeit noch schnell beim Bauern eine Kuh zu melken.

Und was tun die Schweizer dieser Tage, wenn sie nicht gerade Ferien buchen, in die Berge fahren oder Kühe melken? Sie hübschen ihr Haus auf und dekorieren es neu – auch das ein Trend in der Spätzeit der Pandemie.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?