Hände waschen, Maske tragen, Abstand halten. Mit diesen Massnahmen wird seit Beginn der Pandemie versucht, eine Infektion zu verhindern. Umso seltsamer mutet eine Studie vom Imperial College London aus Grossbritannien an. Für die Forschung wurden 36 Freiwillige zwischen 18 und 29 Jahren gesucht, die sich absichtlich mit Corona infizieren lassen. Im Gegenzug gab es Geld. Umgerechnet 5600 Franken.
Per Nasentropfen bekamen die Probanden, dann Coronaviren verpasst. Nicht aber etwa die gängigen Varianten Delta oder Omikron, sondern Alpha. Mit dem Experiment am Menschen wollten die Wissenschaftler beobachten, wie sich Corona im Körper verhält und wie es sich verbreitet.
Einer der Probanden war Alastair Fraser-Urquhar aus Stoke-on-Trent. Als der junge Mann von der Studie hörte, meldete er sich sofort als Freiwilliger – und zwar aus Überzeugung. «Hätten wir früher in der Pandemie damit begonnen, hätten wir möglicherweise schon zu Weihnachten Impfstoffe verteilen können», sagte der Teenager zur britischen Zeitung «The Guardian».
Nur 18 Probanden zeigten Symptome
Die Forscher sind mit dem Ergebnis höchst zufrieden. Nur unter diesen Bedingungen habe man verfolgen können, was die gleiche Viruslast bei mehreren Menschen auslösen kann. Das sehen auch Kollegen so. «Diese minutiösen Einsichten können wir auf andere Weise nicht gewinnen», sagt etwa Doug Brown von der Britischen Gesellschaft für Immunologie, wie der «Tagesanzeiger» berichtet.
Und in der Tat: Die Resultate sind überraschend. Zwar bekam jeder Teilnehmer eine Ladung Coronaviren verpasst, aber nicht alle wurden auch krank. Warum das so ist, können die Wissenschaftler nicht mit Sicherheit sagen.
Letzten Endes wurden die Daten von 34 Personen ausgewertet. Davon infizierten sich gerade mal 18 Teilnehmer, die bis auf zwei Probanden alle nur milde Symptome zeigten. Darunter Störungen im Geschmacks- und Geruchssinn, die aber nach einer gewissen Zeit wieder aufhörten. Dabei konnten die Forscher aber nicht beweisen, dass eine hohe Viruslast auch automatisch schwere Symptome bedeutet.
Erkenntnisgewinn der Studie ist fraglich
Für Virologen mag die Studie spannend sein, für Ethiker ist sie aber höchst problematisch. Zum Beispiel kritisiert der deutsche Medizinethiker Georg Marckmann den Menschenversuch.
Glücklicherweise hätten alle Probanden nur milde Symptome gehabt. Das hätte aber auch anders ausgehen können. Schwerer Verlauf oder gar der Tod wären möglich gewesen. Und überhaupt zweifelt er am Erkenntnisgewinn der Studie. Marckmann zum «Tagesanzeiger»: «Hier stellt sich schon die Frage, wie der Wissensgewinn im Vergleich zu anderen Studien ist, die keine Krankheit provozieren, kurz: Was ist der wissenschaftliche Mehrwert durch diese Erkenntnisse?». (jmh)