Pandemie, Lockdowns, Corona-Tote. Mit diesen Zutaten kann man sich der öffentlichen Aufmerksamkeit häufig sicher sein. Nun hat es eine Studie ins mediale Rampenlicht geschafft – zunächst unter Umgehung einer wissenschaftlichen Kontrolle. Doch nicht nur das ist befremdlich an dem Papier.
Behauptung: Staatliche verordnete Massnahmen während der Pandemie haben kaum oder keinen Einfluss auf die Zahl der Menschen, die in Zusammenhang mit Corona gestorben sind. So lautet das Ergebnis einer Studie dreier Ökonomen, die auf der Seite des Johns Hopkins Institute for Applied Economics veröffentlicht wurde.
Bewertung: Die Untersuchung wirft eine wichtige Frage auf, kann sie aber nicht abschliessend klären. Experten nennen mehrere Kritikpunkte.
Fakten: Unbestritten ist, dass eine Reduktion von Kontakten die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Covid-19 verlangsamt. Das führt auch zu weniger Toten. Die Frage allerdings, ob darüber hinaus staatlich verordnete Massnahmen helfen, ist Gegenstand der aktuell medial vielbeachteten Untersuchung der drei Ökonomen.
Keine Aussagen über generelle Massnahmen
Ihr Papier bezeichnen Jonas Herby, Lars Jonung und Steve Hanke als sogenannte Meta-Studie, die als eine Art Überblick die Daten von Einzelstudien und Arbeitspapieren zusammenfasse. Die Autoren wollten prüfen: Gibt es Belege für die Annahme, dass staatlich verordnete Lockdowns einen zusätzlichen Effekt auf die Covid-19-Sterblichkeit hatten – verglichen mit den Massnahmen, welche die Bevölkerung ohnehin freiwillig umgesetzt hat?
Die Untersuchung macht also keinerlei Aussage darüber, ob generelle Massnahmen wie Kontaktreduzierung, Maskentragen oder Handhygiene überflüssig gewesen seien. Auch fallen Informationskampagnen der Behörden oder bereitgestellte Testkapazitäten ausser Betracht.
Wie die staatlichen Massnahmen im Verlauf der Pandemie und unter anderen Voraussetzungen – wie etwa dem Vorhandensein von Impfstoffen – gewirkt haben, zeigen die Ergebnisse der Meta-Studie nicht. Denn die von ihr untersuchten Einzelstudien beschäftigen sich nur mit der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020.
Spitalaufenthalte nicht berücksichtigt
Was in der Untersuchung überhaupt nicht betrachtet wird: «Wir schliessen Studien aus, die Fälle, Krankenhausaufenthalte oder andere Messgrössen verwenden», heisst es explizit. Damit kann die Analyse nicht für Aussagen herangezogen werden, ob staatliche Massnahmen zum Beispiel die Zahl der Corona-Infektionen oder die Menge an schweren Krankheitsverläufen beeinflussen. Doch gerade die drohende Überlastung in den Spitälern und der Pflege war für die Politik immer wieder die Begründung für sehr tiefgreifende Regelungen.
Herby und seine Kollegen kommen in ihrem Papier zu dem Schluss, dass staatlich geregelte Massnahmen weltweit im Vergleich zu Empfehlungen und freiwilligen Verhaltensänderungen der Bevölkerung kaum Effekt gehabt hätten: In der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 sei aus den untersuchten Studien herauszulesen, dass die Covid-Todesrate durch verordnete Regelungen um nur 0,2 Prozent gesenkt worden sei.
Herby erklärt konkret: «Es gab insgesamt ungefähr 300'000 Covid-19-Tote in Europa und den USA während der ersten Welle mit Lockdowns», schreibt er auf Twitter. «Ohne Lockdowns wären es nach wissenschaftlichen Schätzungen 300'601 gewesen.»
«Das richtige Timing»
In einem ausführlichen Artikel zur Meta-Analyse erläutert Herby, dass diese nicht zwangsläufig den Schluss zulasse, Lockdowns hätten in keinem Land der Welt etwas bewirkt. Wenn Regierungen «das richtige Timing» für ihre Massnahmen gefunden hätten, dann könnten die Regeln eine grosse Wirkung erzielt haben.
Die 0,2 Prozent beziehen sich auf alle staatlichen Massnahmen zum Lockdown insgesamt. Einzelnen Regelungen hingegen wird in der Meta-Analyse durchaus ein deutlicher Effekt hinsichtlich der Todeszahlen zugeschrieben – etwa dem Maskentragen am Arbeitsplatz oder geschlossenen Clubs und Bars. (SDA)