BLICK auf die USA: US-Korrespondent Nicola Imfeld über die Strategie des Präsidenten im Falle einer Wahlniederlage
Trump will Diktator spielen

Jede Woche schreibt USA-Korrespondent Nicola Imfeld in seiner Kolumne über ein Thema, das jenseits des Atlantiks für Aufsehen sorgt. Heute geht es um Donald Trumps gefährliches Spiel mit der Demokratie.
Publiziert: 25.09.2020 um 01:02 Uhr
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Aktualisiert: 26.09.2020 um 19:48 Uhr
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Nicola Imfeld, USA-Korrespondent der Blick-Gruppe
Foto: Zvg
Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Ein schlechter Verlierer wird wütend, sucht nach Ausreden. Ein ganz übler Verlierer strebt nach einem Ausweg aus der Niederlage – koste es, was es wolle. Letzteres trifft auf Donald Trump (74) zu. Der US-Präsident will an der Macht bleiben, auch wenn im November sein Herausforderer Joe Biden (77) die Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte.

Ausgerechnet die Vorzeigedemokratie Amerika steuert derzeit auf seine womöglich schlimmste innenpolitische Krise seit Jahrzehnten zu. Eine friedliche Machtübernahme gilt in den USA eigentlich als garantiert. Trump macht sich nun aber daran, dieser Selbstverständlichkeit ein Ende zu setzen. Und das nicht etwa im Verborgenen, sondern ganz offenkundig.

Diese Woche hat er es an einer Pressekonferenz im Weissen Haus abgelehnt, eine friedliche Übernahme der Macht zu garantieren. Auf eine entsprechende Frage antwortete Trump: «Wir müssen abwarten, was passiert.» Er verwies dabei mit Blick auf die Zunahme der Abstimmung per Briefwahl vor Betrug, ohne dafür Beweise vorzulegen.

Ein einmaliger Ausrutscher war das nicht. Trump hat dasselbe bereits im Juli in einem Interview auf Fox News gesagt. Vor seinen Anhängern wiederholt er immer wieder, dass er die Abstimmung nur durch Wahlbetrug verlieren könne. Auch hat er schon mehrfach mit einem Lächeln gesagt, dass er länger als die maximal zwei erlaubten Legislaturperioden von insgesamt acht Jahren im Weissen Haus bleiben würde.

Trumps Strategie, um Präsident zu bleiben

Die Aussagen des US-Präsidenten stellen eine Gefahr für die amerikanische Demokratie dar. Das Argument seiner Befürworter, dass man den Präsidenten nicht immer beim Wort nehmen kann, gilt allerspätestens seit der Covid-19-Pandemie nicht mehr. Er hat das Virus nicht ernst genommen – 200'000 Amerikaner sind bislang daran gestorben. Wenn Trump also sagt, er könne die Wahlen nicht ehrlich verlieren, dann bleibt er dabei.

Seine Strategie ist durchschaubar und übel zugleich. Seit Wochen sät der Präsident zusammen mit seinen Parteikollegen Zweifel über die Briefwahl. Wegen der Corona-Pandemie wird erwartet, dass deutlich mehr Wähler bei den Präsidentschaftswahlen per Brief abstimmen werden. Trump behauptet, dass dies die Gefahr von Wahlfälschung drastisch erhöhe. Experten, Wahlverantwortliche und zuletzt auch der FBI-Chef bestreiten dies.

Stichhaltige Beweise für seine These hat der Präsident nicht vorgelegt. Darum geht es ihm auch gar nicht. Trump will Verwirrung stiften, um im Falle einer Niederlage die Wahlen als «Betrug» abzustempeln. Es ist nämlich durchaus möglich, dass Trump in der Wahlnacht wie der sichere Sieger aussehen wird. Doch weil die Überprüfung und Auszählung der Briefstimmen mehrere Tage dauern kann, könnte das Ergebnis aber noch kippen.

Experten: Keine Regeln für Übergang der Macht

Wegen Trumps Äusserungen in der Vergangenheit beschäftigen sich Verfassungsexperten schon seit Monaten mit der Frage, was passiert, wenn der Präsident das Wahlresultat nicht anerkennen sollte. Ihr Fazit ist ernüchternd: Offenbar gibt es tatsächlich keine verbindlichen Regeln, die den Übergang der Macht festlegen.

Klar dürfte jetzt schon sein, dass beide politischen Parteien die Gerichte bemühen werden. Anfechten kann man bei einer Briefwahl in den USA nämlich allerlei – so könnte eine Beschwerde bereits gutgeheissen werden, wenn die Unterschrift des Bürgers um eine Linie verrutscht ist. Und solange eine Untersuchung läuft, ist das Resultat der Wahlen sowieso nicht definitiv.

Horror-Szenario: So kann Trump an der Macht bleiben

Zu einem grossen Problem kann das komplizierte amerikanische Wahlsystem werden. In den USA wählen die Bürger nicht direkt den Präsidenten, sondern Wahlmänner – sogenannte Elektoren. In aller Regel geben sie jenem Kandidaten die Stimme, der auch den entsprechenden Bundesstaat gewonnen hat.

Hier kommt das Horror-Szenario der Demokraten ins Spiel, das in den Medien herumgereicht wird: Spätestens 35 Tage nach der Wahl müssen die Bundesstaaten die Wahlmänner bekannt geben. Ist das Ergebnis der Wahl aufgrund von Einsprachen noch nicht definitiv, können die Gouverneure eigenmächtig Elektoren ernennen. Und weil gerade in den für die Wahlen entscheidenden Swing States vornehmlich Republikaner an der Macht sind, könnten sie sicherstellen, dass Trump an der Macht bleibt. Den Demokraten bliebe zwar noch der Gang an den Obersten Gerichtshof. Aber auch am Supreme Court würde man eine konservative Mehrheit antreffen. Ausgang: höchst ungewiss.

Zusicherungen der Republikaner – warum sie keinen Cent wert sind

Dass Trump derart offen mit dem Gedanken spielt, die Wahlen nicht anzuerkennen, ist an Arroganz kaum zu überbieten. Er weiss nach knapp vier Jahren in Washington, dass er seine Partei fest im Griff hat. In der Vergangenheit hat sich mehrfach gezeigt, dass die Republikaner nicht den Mut aufbringen, gegen die Machtüberschreitung ihres Präsidenten einzustehen. Seit Trump an der Macht ist, wird vor ihm gekuscht.

Gewiss: Trumps Aussagen haben diese Woche einen Sturm der Entrüstung nach sich gezogen – bei Demokraten wie auch bei Republikanern. Der Senat verabschiedete am Donnerstag gar eine Resolution mit einem Bekenntnis zur friedlichen Machtübergabe. Dass das überhaupt notwendig geworden ist, spricht Bände!

Doch diese Resolution kann letztlich wie auch der Tweet von Mitch McConnell beiseite gewischt werden. Der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat hat am Donnerstag gezwitschert: «Der Gewinner der Wahl vom 3. November wird am 20. Januar eingeweiht. Es wird einen geordneten Übergang geben, so wie es seit 1792 alle vier Jahre der Fall gewesen war.»

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Dass das Wort von Mitch McConnell keinen Cent wert ist, wissen die Demokraten spätestens seit vergangenem Freitag. Stunden nach dem Tod von Justiz-Ikone Ruth Bader Ginsburg (†87) hat der Republikaner angekündigt, dass man eine neue Supreme-Court-Richterin, die von Trump vorgeschlagen wird, so schnell wie möglich ernennen möchte. Im März 2016 unterschlug McConnell dieselbe Möglichkeit dem damaligen Präsidenten Barack Obama (59) mit der Begründung, dass das amerikanische Volk bei den Wahlen eine Stimme haben soll. Damals war der Wahltag noch rund acht Monate entfernt. Jetzt ist der Wahltag weniger als zwei Monate entfernt ...

Trump und die Diktatur

Donald Trump hat in seiner Amtszeit mit Autokraten und Diktatoren auf beste Freunde gemacht. Den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un traf er dreimal und nannte ihn einen «tollen Freund». Derweil attackierte Trump die amerikanischen Freunde in Westeuropa und Südostasien, beleidigte demokratisch gewählte Präsidenten und trat aus internationalen Organisationen aus.

Ein vollumfänglicher Diktator – per Definition ein Alleinherrscher – wird Trump nicht werden können. Das lässt die US-Verfassung nicht zu. Aber ein bisschen Diktator spielen kann Trump im November sehr wohl.

US-Wahlen 2020

Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.

Alle aktuellen Entwicklungen zu den Wahlen und Kandidaten gibt es immer im Newsticker, und alle Artikel zum Thema finden Sie hier auf der US-Wahlen-Seite.

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