Joe Biden (77) scheint alles richtig zu machen. Etwas mehr als drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen hängt er Amtsinhaber Donald Trump (74) in den wichtigsten Umfragen deutlich ab. Sogar der Bundesstaat Texas ist umkämpft. Es wäre das erste Mal in 44 Jahren, dass die republikanische Hochburg einen Demokraten in Weisse Haus wählt.
Dabei führt Biden bislang einen bescheidenen Wahlkampf: Er ist unscheinbar, wirkt zuweilen gar uninspiriert. Wenn man von ihm hört, dann meist aus seinem Anwesen im Bundesstaat Delaware, wo er sich seit Beginn der Corona-Pandemie aufhält. Hie und da gibt er von seinem Keller aus ein Interview, bislang stets auf einem der ihm wohlgesinnten US-Sender. Andere Aufgaben erledigen seine Mitarbeiter: Sie twittern fleissig für ihn, verschicken täglich Spendenaufrufe per E-Mail.
Es ist eine Angsthasentaktik, die Biden ausgewählt hat. Nicht besonders mutig, aber gleichzeitig auch klug. Warum etwas riskieren, wenn sich sein Gegner gerade Woche für Woche selbst demontiert?
Fragwürdige Aussagen, immer wieder Aussetzer
Kritik wird trotzdem laut. Und sie ist auch angebracht. Biden motzt zu oft über seinen Gegner. Manchmal ist seine Kritik fragwürdig. So hat er Trump am Mittwoch als den ersten «Rassisten» bezeichnet, der es ins Weisse Haus geschafft hat. Dass schon Männer im Oval Office regierten, die auch Sklaven besassen, hat er ausgeblendet.
Von Zeit zu Zeit präsentiert Biden aber auch konkrete Vorschläge. Vorbildlich mit Schutzmaske, wie es sich für einen Präsidentschaftskandidaten gehört, stellte er Anfang Juli einen 700-Milliarden-Plan für die Mittelschicht vor. Diese Woche erklärte der Vizepräsident unter Barack Obama (58), wie er die Wirtschaft während der Corona-Krise wieder in Gang bringen möchte. Auffällig aber: Biden lässt keine Journalistenfragen zu.
Republikaner nehmen dies gerne zum Anlass, Biden als älteren Mann mit geistigen Problemen darzustellen. Trump nennt ihn schon seit Monaten nur noch «Sleepy Joe» – den schläfrigen Joe. Wohl auch als Reaktion darauf, hat Biden im Juli eine medizinische Bewertung veröffentlicht, die ihn als «gesund» und «energisch» umschreibt.
Doch was an der Kritik der Konservativen stimmt: Biden leistet sich tatsächlich immer wieder Aussetzer, vor allem wenn er ohne Teleprompter sprechen muss. Das war bei den TV-Debatten im Rahmen der demokratischen Vorwahlen zu beobachten, als seine Versprecher mehrmals für Verwirrung sorgten.
Versteckspiel endet im Herbst
Wenn man sich an die verlorene Wahl 2016 und die anschliessenden Forderungen aus der Partei zurückerinnert, muss Biden als Kandidat eine herbe Enttäuschung für die Demokraten sein. Er ist nicht das damals erhoffte, neue Gesicht. Biden steht nicht für Aufbruch. Der 77-Jährige repräsentiert auch nicht die Parteibasis, die immer jünger wird. Wieder ein weisser, alter Mann, dabei ist die demokratische Partei so divers wie nie zuvor.
Trotzdem läuft derzeit für Biden alles nach Plan. Bis im November kann allerdings noch viel passieren. Erfahrungsgemäss werden die Präsidentschaftswahlen im Oktober entschieden. Wer weiss schon, wie sich die Corona-Pandemie bis dahin entwickelt hat? Vieles wird auch davon abhängen, ob sich die Wirtschaft weiter erholt.
Klar ist aber schon jetzt: Auch ein Angsthase muss irgendwann aus seinem Loch kommen. Im Herbst wird es kein Entrinnen mehr geben. Spätestens dann, bei den TV-Debatten, wird sich Biden einem riesigen Fernsehpublikum und Donald Trump stellen müssen. Ohne Teleprompter.
Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.
Alle aktuellen Entwicklungen zu den Wahlen und Kandidaten gibt es immer im Newsticker, und alle Artikel zum Thema finden Sie hier auf der US-Wahlen-Seite.
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