Die Vereinigten Staaten von Amerika, das beste Land der Welt! Eine Aussage, an die in der Schweiz und in Europa kaum jemand mehr glaubt. Doch die grosse Mehrheit der Amerikaner hängt immer noch an diesem Irrglauben, wie ein Kind an seinem Teddybär.
Am heutigen Samstag erreicht dieses Selbstbild wieder seine Spitze. Es ist der 4. Juli – die Amis feiern ihren Nationalfeiertag, den «Independence Day». In einem Land, wo man an normalen Tagen bereits an jeder Strassenecke und auf sämtlichen Gebäuden eine US-Flagge erspähen kann, kleidet man sich heute ganz patriotisch in rot-weiss-blau. Gut möglich, dass auch die Sonnenbrille – oder derzeit aktueller, die Schutzmaske – in den Nationalfarben daherkommt.
Wer heute Zweifel am Selbstverständnis der Amerikaner als bestes Land der Welt sät, wird an der Party ganz bestimmt kein Budweiser erhalten. Das ist in etwa so, wie wenn man in der Schweiz nach einem Wimbledon-Sieg von Roger Federer den Maestro höchstpersönlich kritisiert.
Aber gerade an jenem Tag, wo Patriotismus zelebriert wird, sollte man doch wahrhaftig heimatliebend sein. Und was ist patriotischer, als der Realität ins Auge zu sehen, um das eigene Land besser und fortschrittlicher zu machen? Denn der erste Schritt zur Lösung eines Problems ist die Erkenntnis, dass es eins gibt.
Fakten: Die Probleme Amerikas
Tatsächlich haben die USA in der Vergangenheit Beeindruckendes geleistet. Man hat den technologischen Fortschritt angeführt, Krankheiten geheilt, den Weltraum entdeckt und eine beeindruckende Wirtschaft aufgebaut.
Im Jahr 2020 aber gibt es keine Beweise mehr dafür, dass Amerika das weltbeste Land ist. In der Sparte Wissenschaft ist man längst aus den Top 10 gefallen. Bei der Lebenserwartung liegt man auf dem 46. und bezüglich der Kindersterblichkeit auf dem 170. Platz. Amerika führt dafür die Weltrangliste für die Anzahl inhaftierter Bürger und bei den Corona-Toten an. Oder bei den Verteidigungsausgaben, wo man mehr Geld ausgibt als die nächsten 13 Länder zusammen – 11 davon sind US-Verbündete!
Die Amerikaner halten gerne mit dem Argument der Freiheit dagegen. Doch sie blenden aus, dass heute Menschen in über 100 Nationen in Freiheit leben. Und sowieso: Die USA belegten im vergangenen Jahr lediglich den 53. Platz in dieser Rangliste.
Obdachlose, Krankenversicherung, Rassismus
Das wichtigste Gegenargument für den Irrglauben der Amerikaner sind die sozialen Probleme im Land. Hier einige Beispiele:
- Wie kann ein Land, wo so viele Menschen auf der Strasse und ohne Dach über dem Kopf leben müssen, das beste auf der Welt sein?
- Wie kann ein Land, das keine Krankenversicherung für seine Bürger garantiert, das beste auf der Welt sein?
- Wie kann ein Land, wo junge Erwachsene Zehntausende Dollar für die Universität aufbringen und folglich jahrelang Schulden abbauen müssen, das beste auf der Welt sein?
- Wie kann ein Land, das über ein Jahrhundert nach dem Ende der Sklaverei immer noch ein rassistisches System hat, das beste auf der Welt sein?
Wenn Amerika jemals das beste Land dieser Welt gewesen ist, dann ganz bestimmt nicht mehr heute. Aber es könnte es werden. Wir Schweizer haben ein grosses Interesse daran, dass die grösste Demokratie der westlichen Welt Spitzenklasse wird und unsere freiheitlichen Werte, die wir mit Amerika teilen, auf der grossen Bühne verteidigt.
In diesem Sinne: Happy 4th of July my fellow Americans!
PS: Ich trinke heute für einmal auch ganz brav ein Budweiser, versprochen.