BLICK auf die USA: US-Korrespondent Nicola Imfeld über die bereits angeschlagene psychische Gesundheit der Amerikaner
Die Krise nach Corona wird wieder verschlafen

Jede Woche schreibt USA-Korrespondent Nicola Imfeld in seiner Kolumne über ein Thema, das jenseits des Atlantiks für Aufsehen sorgt. Heute geht es um die bereits angeschlagene psychische Gesundheit der Amerikaner und die Untätigkeit der Politik.
Publiziert: 08.05.2020 um 07:32 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2020 um 02:06 Uhr
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Nicola Imfeld, USA-Korrespondent der Blick-Gruppe
Foto: Zvg
Nicola Imfeld aus San Diego (USA)

Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht überstanden. In den USA könnte das Schlimmste noch bevorstehen, wie diese Behörden-Prognose von Anfang Woche zeigt. Beim Kampf gegen das Virus geht in Amerika aber gerade vergessen, dass die nächste Krise schon da ist. Und auch diese wird von Washington wieder verschlafen!

Die täglichen Todesfälle, die monatelange Isolation und die Zukunftsangst schlagen auf die Psyche. Amerikanische Experten warnen vor einer historischen Welle mentaler Gesundheitsprobleme, die dem Land bevorsteht: Depressionen, Drogenmissbrauch, posttraumatische Belastungsstörung und Selbstmord.

Dass die Krise nach Corona schon begonnen hat, zeigen die aktuellen Zahlen: Fast jeder zweite Amerikaner sagt laut einer Umfrage, dass die Pandemie seiner psychischen Gesundheit schadet. Die landesweite Notfall-Hotline «Lifeline» registrierte im April einen Anstieg von mehr als 1000 Prozent (!) im Vergleich zum Vorjahr.

Wie Job-Verluste mit Suizid zusammenhängen

Die Krise nach Corona wird auch die Schweiz und andere Länder beschäftigen. Aber die USA trifft sie besonders hart. Hier wird mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf bis zu 30 Prozent gerechnet. Und wer in Amerika den Job verliert, steht nicht selten auch ohne Krankenversicherung da. Eine von der «New York Times» publizierte Studie zeigt, dass bereits jetzt jedes fünfte Kind im Land zu wenig zu essen hat. Tendenz steigend.

Dass der Verlust der Arbeitsstelle psychische Probleme hervorrufen kann, ist seit der Finanzkrise von 2007 bewiesen. Eine Studie zeigte damals, dass jeder Prozentpunkt mehr bei der Arbeitslosenquote einen Anstieg der Selbstmordrate um 1,6 Prozent zur Folge hatte. Eine gemeinnützige Organisation aus Texas hat nun ausgerechnet, was das in Corona-Zeiten bedeutet: Bei einem erwarteten Anstieg von 20 Prozent der US-Arbeitslosenquote könnten 40'000 Menschen wegen Selbstmord oder durch eine Drogen-Überdosis sterben.

Kommt hinzu: Die USA haben ohnehin schon ein Problem, wenn es um die psychische Gesundheit der Bevölkerung geht. Während die Selbstmordraten weltweit stetig gesunken sind, ist die Quote in Amerika seit 1999 jedes Jahr gestiegen. Alleine in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Selbstmordrate um 33 Prozent zugenommen. Deshalb stehen schon jetzt viele Klinken am Rande des Zusammenbruchs.

US-Politik ist untätig

Die Krux an der Sache: Die US-Medien berichten, wie auch Schweizer Medien, kaum oder nur sehr zurückhaltend über Suizidfälle. Und das völlig zurecht! Präventionsgruppen weisen immer wieder daraufhin, dass eine «übertriebene» oder eine «sensationelle» Berichterstattung über Suizid zu einer Zunahme der Selbstmordversuche führen kann.

Das Problem der mangelnden medialen Aufmerksamkeit für diese Krise spiegelt sich aber derzeit in den Aktionen der amerikanischen Politik wieder. Von den Corona-Hilfspaketen, die mehrere Billionen Dollar umfassen, hat der US-Kongress nur einen winzigen Teil für die psychische Gesundheit bereitgestellt. Dabei weiss man mittlerweile, dass Selbstmorde zu verhindern wären. Also mahnen Suizidexperten in den USA, dass man ähnlich drastische Schritte unternehmen sollte, wie man es auch während der Corona-Pandemie nun tut. Doch ihre Warnungen werden überhört – auch weil kein medialer Druck vorhanden ist.

Anstatt diese Kolumne nun mit einer Pointe zu beenden, weise ich Sie auf die Notruf-Nummer hin. In der Schweiz ist «Die Dargebotene Hand» rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da. Und wenn Sie diese US-Kolumne in den Vereinigten Staaten gelesen haben, finden sie unter +1 800 273 82 55 Hilfe.

Hier findest du Hilfe

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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