... also mein Mann
Wir sind die Schwächeren

Da heisst es immer und überall, mit einer Covid-Impfung schütze man auch die Schwächeren der Gesellschaft. Falls das zu abstrakt ist, falls nicht ganz klar ist, wer diese Schwächeren sind: wir zum Beispiel. Also mein Mann Victor.
Publiziert: 13.12.2021 um 12:25 Uhr
Milena Moser dankt in ihrer Kolumne allen Impfwilligen.
Foto: imago images/Michael Weber
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Milena MoserSchriftstellerin

Als wir im letzten Herbst zwischen zwei neuen Virus-Varianten unsere Hochzeit nachfeierten, im kleinen Rahmen und draussen im Garten, bestand Victor darauf, die Gästeliste durchzutelefonieren. Nur um sicher zu sein, dass auch alle geimpft seien. Ich fand das überflüssig. «Wir kennen doch unsere Freunde», sagte ich. «Und sie kennen uns.» Und vor allem wissen sie alle, dass Victor seit seiner Nierentransplantation und für den Rest seines Lebens Medikamente nehmen muss, die sein Immunsystem unterdrücken, die also auch die Wirkung seiner Impfung beeinträchtigen. Und dass er ausserdem schwer herzkrank ist. Victor würde eine Covid-Infektion nicht überleben.

Ironischerweise fiel der Beginn der Pandemie mit dem Erfolg seiner letzten von mehreren Herzoperationen zusammen. Im selben Moment, in dem die akute Lebensgefahr für den Moment gebannt war, kam eine neue hinzu, eine, die wir nicht voraussehen konnten. Victor hat, wie immer, ohne sich zu beschweren, fast alles aufgegeben, was ihm wichtig war: grosse Einladungen, Atelierpartys, das ständige Kommen und Gehen im Studio, die wöchentlichen Museumsbesuche, die nachmittäglichen Kinobesuche, zwei Filme hintereinander, Restaurants, Konzerte. Er hat das Glück, als Künstler aus einem inneren Reichtum schöpfen zu können.

Und er hat, im Gegensatz zu mir, schon Schlimmeres erlebt.

«Einschränkungen?» Er schnaubt durch die Nase. «Meine Kunst wurde zerstört, mein Haus enteignet, ich bin gekidnappt, festgehalten und gefoltert worden. Komm mir nicht mit Einschränkungen!»

Seit dem Beginn unserer Beziehung lebe ich mit der Bedrohung, die von seinen Krankheiten ausgeht. Ich habe gelernt, mit ihr zu leben. Doch diese neue Gefahr überfordert mich. Ich kann schlecht mit ihr umgehen. Victor hingegen ist klar. Er jammert nicht, aber er geht auch kein Risiko ein.

«Sicher ist sicher», sagte er also und rief seine alten Freunde an. Tatsächlich stellte sich heraus, dass drei von ihnen nicht geimpft waren und auch nicht vorhatten, es zu tun. Doch es kam weder zum Streit noch zum Bruch. Victor argumentierte nicht, versuchte nicht, sie zu überzeugen – er lud sie einfach höflich wieder aus. Und das akzeptierten sie auch anstandslos. Sie beharrten zwar auf ihren Überzeugungen, nicht aber darauf, willkürlich das Leben anderer zu gefährden. Das ist nämlich kein Grundrecht. Und sollte auch nie eines werden.

Ich aber, ich nehme diese Dinge sehr persönlich. Obwohl ich weiss, dass ich damit gegen das Einmaleins der Gelassenheit verstosse. Aber für mich sagt jeder, der darauf besteht, sich ungeimpft und unmaskiert unter Menschen zu mischen: «Solche wie dein Mann können von mir aus verräbeln. Ich und meine Überzeugungen und meine Bequemlichkeit sind schliesslich mehr wert als das Leben von solchen Zweitklassmenschen wie ihm, die alt sind oder krank, angeschlagen oder schwach.» Das erschüttert mich bis ins Mark, das bedroht mich, das verletzt mich. Klar: Weil ich mir das nicht gewohnt bin. Weil ich verwöhnt bin. Die letzten Jahre haben mich zusammengestaucht. Aber das ist nicht nur schlecht: Sie haben mich auch demütig gemacht. Deshalb möchte ich hier allen Geimpften und Impfwilligen aus tiefstem Herzen danken: dafür, dass sie uns mitschützen, dass sie uns versichern, dass wir für sie durchaus ein wertvoller Teil der Gemeinschaft sind. Danke.

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