Kolumne «Weltanschauung»
Die Kunst des Boulevards

BLICK feiert sein 60-Jahr-Jubiläum. Es gibt immer noch Leute, die ihn für ein «Revolverblatt» halten. Was ja auch in Ordnung ist, wenn es bedeutet: Lieber scharf schiessen als unscharf schwafeln.
Publiziert: 14.10.2019 um 07:47 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2019 um 16:49 Uhr
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Giuseppe Gracia, Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

Es ist leicht, beim Thema Boulevard die Nase zu rümpfen. Zeitungen wie BLICK sind doch «Revolverblätter», die uns täglich Gewalt, Sex und Promi-Geschichten auftischen. So gesehen sind Leute, die für solche Zeitungen arbeiten, die Schmuddelkinder der Branche. Im Falle des BLICK verführen sie uns schon seit 60 Jahren zu ungesundem Medien-Fast-Food.

Jedenfalls denken das vor allem Intellektuelle oder solche, die sich dafür halten. Diese Leute erkennen vor lauter geistreicher Selbstaufblähung aber nicht, was der Boulevard leistet.

Kompliziert kann jeder

Eine gute Boulevard-Zeitung schafft es, die komplexe Wirklichkeit eines gesellschaftlichen oder politischen Ereignisses verständlich auf den Punkt zu bringen. Und zwar so, dass viele Menschen Lust bekommen, darüber zu lesen. Das ist eine hohe Kunst. Eine Sache so zu beschreiben, dass sich ein grosses Publikum dafür interessiert – das ist harte Arbeit und setzt Können voraus.

Kompliziert und verworren schreiben kann jeder. Gerade sogenannte seriöse Qualitätsmedien bieten überraschend oft Texte, die in ihrer eigenen Differenzierung ertrinken. Oder sie kreisen langatmig um ein paar wenige Kerngedanken, als würde es darum gehen, eine Goldmedaille in Umständlichkeit und Lesezeitverschwendung zu gewinnen. Das sind Texte, die mangelndes Handwerk und gedankliche Unschärfe mit Tiefgang verwechseln.

Der erste Satz!

Natürlich ist die Welt komplex und oft unübersichtlich. Aber das ist kein Freipass für selbstdarstellerische Weitschweifigkeit. Für ein grosses Medium zu schreiben, ist ein Privileg und eine Verantwortung, ein Dienst an den Leserinnen und Lesern.

Ich zum Beispiel darf als Kolumnist für den BLICK schreiben und bin in der Themenwahl völlig frei. Ich sehe dies als Verantwortung. Und was das Handwerk betrifft, denke ich an den US-amerikanischen Schriftsteller William Faulkner (1897–1962), der auf die Frage, wie man interessant und verständlich schreibt, gesagt hat: «Schreibe den ersten Satz so, dass der Leser unbedingt auch den zweiten lesen will.» Besser kann man es nicht zusammenfassen. In diesem Sinn: Auf gute Sätze, die Lust auf mehr machen. Und auf guten Boulevard!

Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.

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