«Mir sind zwor im Gjet usse, aber nöd am Arsch vor Welt», sagt René Wassmer (58) am Telefon. Das «Gjet» heisst Thalheim. Ein Dorf im Aargauer Schenkenbergertal. Hier steht das Wygärtli, um dieses Restaurant dreht sich René Wassmers Welt. Zu dieser gehört das Café crème, die Stange – und der BLICK. Und das seit 50 Jahren.
Denn Wassmers Vater Hansruedi (87) ist einer der langjährigen Abonnenten. Wirt Wassmer liest den BLICK nach Feierabend bei einem Bier. Derzeit kommt er allerdings kaum dazu. Es ist Metzgete. Und das Wygärtli ist weitherum bekannt für die frischen Würste.
Der erste Gast an diesem Dienstag tritt in die morgens noch dürftig belichtete Stube, setzt sich an den langen Holztisch und zieht den BLICK unter der Regionalzeitung hervor, bestellt Café crème und Schützenwurst – und blättert.
«Titel und Bild sind für mich sehr wichtig», sagt Martin Wernli (51), der ein Geschäft für Transport- und Landwirtschaftsgeräte hat. Und wenn er grad noch etwas sagen dürfe: Die Berichterstattung sei oft zu negativ. Er wünsche sich mehr positive Geschichten.
Am Dorfende steht Peter Dietiker vor seinem Lebensmittelgeschäft und raucht einen Stumpen. Neben ihm die bekannte rote Zeitungsbox des SonntagsBlicks. Seit den 70er-Jahren gehöre der Kasten zum Dorf Thalheim, sagt der 77-Jährige.
BLICK darf sogar mit ins Bett
Der BLICK gehört zur Schweiz. 434'000 Menschen lesen die Zeitung jeden Tag. Zusammen mit den Nutzern des digitalen Angebots sind es 1,2 Millionen, die täglich Blick-Inhalte nutzen! Klar ist: Die Schweiz liebt und hasst ihre Boulevardzeitung. Und das seit der Gründung am 14. Oktober 1959.
Zum 60. Geburtstag hat sich ein BLICK-Team auf eine Tour de Suisse begeben. Wie viel BLICK steckt in der Schweiz? Wo trifft man auf den BLICK? Wir telefonierten und sprachen mit Dutzenden Abonnenten in der Schweiz, langjährigen und neuen – ja, es gibt auch neue! Und mit überraschenden. Wir erreichten Schweizer in Deutschland, Indien und Kanada, die sich die Zeitung in die Ferne liefern lassen. Wir haben eine Dame getroffen, die jeden Tag das gelb-schwarze Plakat aushängt und dafür sorgt, dass der BLICK gekauft wird. Wir schauten den Leuten über die Schulter, die Nacht für Nacht drei Tonnen Papier bedrucken, und blickten in Transporter, die den BLICK in die ganze Schweiz hinaus fahren.
Etwa Abonnentin Johanna Hunn in Walterswil SO. «Das BLICK-Abo ist ein Geschenk meines Sohnes. Das ist super, andere Geschenke müsste ich bloss abstauben», sagt die 86-Jährige und lacht. Die Solothurnerin will wissen, was passiert, und interessiert sich für Sport. «Aber wenn Basel gwinnt, denn wird i verruckt!» Die Zeitung liest sie mittags. «Wenn d'Chuchi gmacht isch.» Sie legt sich mit dem BLICK im Wintergarten auf ihr graues Sofa – und gibt zu, manchmal einzuschlafen. Wenn Hunn tagsüber nicht die ganze Zeitung schafft, hat sie eine Lösung: «Ich nimm dr BLICK z'Nacht is Nescht!»
Die Schlagzeilen locken
Auch in der Ostschweiz gehört der BLICK zum Alltag. Hansruedi Bischof (74) aus St. Gallen ist seit Oktober Abonnent. Gelesen hat er die Zeitung zwar schon immer. Aber jeden Tag zum Kiosk zu gehen, ist ihm mittlerweile zu mühsam. «Der BLICK informiert», sagt Bischof. Bei den Schlagzeilen werde zwar etwas übertrieben. «Aber ihr macht das gut, Schlagzeilen locken!» Den SonntagsBlick hole er weiterhin am Kiosk. «Dann kann ich am Sonntag ein bisschen abschleichen», sagt der St. Galler schmunzelnd und wird grad wieder still. Vermutlich, um seine Frau nicht zu verärgern.
Vom Abschleichen am Sonntag erzählen auch andere. Etwa René Wirz (74). «Dann komme ich ein bisschen weg», sagt der Abonnent, als BLICK ihn zu Hause in Sissach BL besucht. «Und ich kann bei den Kollegen mitdiskutieren.» Den BLICK haben er und seine Frau seit 41 Jahren abonniert. Die Zeitung darf sogar mit ins Bett: Während seine Frau Krimis liest, raschelt er sich in der Zeitung durch wahre Verbrechen.
Liseli, die kleine Boulevard-Sau
Das Meersäuli der Familie – Pardon! – scheisst auf den BLICK. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Zeitung landet nach dem Lesen in Liselis Käfig. Dort sauge sie die Feuchtigkeit auf und neutralisiere den Geruch, erklärt Wirz. Das Tier selber hat den BLICK zum Fressen gern. Die dreijährige Meersau knabbert manchmal an den Zeitungsseiten. Eine kleine Boulevard-Sau, das Liseli.
Als Droge bezeichnet der Bündner Bruno Beti den BLICK. «Der BLICK ist wie eine Sucht», sagt der 64-Jährige aus Samedan. Und das, obwohl er erst seit Anfang Monat ein Abo hat. Noch süchtiger als er sei seine Frau. Obwohl: Eigentlich kommt ein grosser Teil des Kantons Graubünden nicht weg von der Zeitung mit den fünf grossen Buchstaben. Im Bezirk Surselva gibt es die grösste Dichte an Lesern. «Um diese Zeitung kommt man hier oben nicht herum», sagt Katja Klee (46) von Surselva Tourismus. Im Tal des Vorderrheins lesen 3000 Einwohner den BLICK, das ist jeder fünfte!
BLICK integriert
Der BLICK wird nicht nur im Bündner Oberland eifrig gelesen, sondern auch in Kanada. Etwa von den Rechsteiners in Ontario. Vreny (73) und Albert (74) wanderten vor 32 Jahren aus und kauften eine Farm. «Uns geht es hier gut», sagt Vreny Rechsteiner am Telefon. Ihr Mann wolle nicht ins Internet, deshalb hätten sie den BLICK abonniert. Manchmal dauere es vier Tage, manchmal zwei Wochen, bis er in Ontario eintreffe. Letzte Woche kamen drei an einem Tag und einer einen ganzen Monat zu spät. Das sei nicht so schlimm, sagt sie. «Wir lesen gemütlich.» Der BLICK sei für sie ein Stück Heimat, sagt Vreny Rechsteiner. Sind die Zeitungen gelesen, werden sie an Freunde weitergegeben – im Schweizer Club, im Schweizer Chor, im Schweizer Jodlerverein.
Für die einen ist der BLICK ein Stück alte, für andere ein Stück neue Heimat. Fatmir Osmani (30) ist Präsident des Fussballvereins FC Tetova Basel, für den hauptsächlich albanischstämmige Jungs zwischen 20 und 30 Jahren spielen. «Es ist ein Migrationsverein», sagt Osmani beim Training auf dem Fussballplatz nahe der deutschen Grenze. Die Herren vom Turnverein, die ebenfalls auf dem Platz Hörnli trainieren, seien anfangs skeptisch gewesen. Doch wenn Osmani heute ins Klubhaus kommt, klopft man sich auf die Schulter. Osmani sagt: Fussball integriert. Genauso wie der BLICK.
«Steht ‹Kosovare›, dann wird es gelesen!»
Der BLICK sei bei Fussballern ständig ein Thema. Sie diskutierten oft über Artikel. Man rege sich zwar auf, wenn die Albaner wieder die Raser sind. Aber der BLICK sei eine Zeitung, die jeder verstehe. «Ich finde es gut, dass der BLICK Themen anspricht, die für Diskussionen sorgen», sagt Spieler Ajdin Spahin (29).
Und was finden die Spieler nicht so gut? «Wo soll ich anfangen?», fragt der 23-jährige Argezon Musa. Die App spinnt öfters (geben wir weiter!), und die Suchfunktion sei verschwunden (kommt wieder!). Es werde oft provokativ geschrieben, finden die Fussballer. Passiere etwas und ein Kosovare sei involviert, werde das Wort «Kosovare» hervorgehoben. «Ja, aber das müssen sie machen, dann wird es gelesen!», sagt Erduan Ismaili (29). Und schon sind die Jungs mitten in einer Diskussion.
Verkehrte Welt
Nicht auf dem Platz, aber seit 18 Jahren im Kiosk steht Christine Mühlheim (64) aus Langenthal BE. Jeden Morgen bekommt sie ein Bündel BLICK. Inklusive Plakat. «Wie darf ich gegen Verbrecher vorgehen?», steht an diesem Tag schwarz auf gelb. Bei ihr müsste es eher heissen: Wie darf ich gegen Gratisleser vorgehen? Ein Kunde, erzählt Mühlheim, komme jeden Tag, lese zuerst die Frontseite vom BLICK, dann die Rückseite. Kaufen tut er ihn nie. Das nervt Mühlheim nicht. Aber: «Er lässt ihn verkehrt herum liegen. Jedes Mal!» Sie lehnt sich dann über die Theke und dreht die Zeitung wieder um.
Es gibt aber auch Orte, da liegt der BLICK auf, obwohl es eigentlich das Reich der Konkurrenz ist. Nämlich in der Tamedia-Druckerei mitten in Zürich, wo seit November 2018 auch der BLICK gedruckt wird. Ein Mitarbeiter verrät: «Den BLICK sieht man von allen Zeitungen, die wir hier drucken, am meisten bei den Mitarbeitern. Er war schon beliebt, bevor wir ihn hier gedruckt haben.»
BLICK ist anspruchsvoll
Drucktechnologe Cyrill Feusi (29) steht seit 22 Uhr an seinem Arbeitsplatz. Riesiges Pult, grosser Bildschirm, bunte Knöpfe. Immer wieder holt er ein Exemplar aus der Kette, die in hoher Geschwindigkeit Zeitungen durchlaufen lässt. Mit seinen Händen, dunkel von der Druckerschwärze, fährt er über die Seiten: Stimmen die Farben? Sind die Linien aufeinander? Der BLICK sei anspruchsvoller im Druck als die anderen Zeitungen. Oha! Er habe am meisten Bilder, Farben und Flächen – und das sei schwerer zu drucken. Beim BLICK könne er mehr spielen, mehr Einfluss nehmen.
Gedruckt wird von 23.30 bis 1 Uhr. Danach hängen die Exemplare an einem Förderband in der Luft. Die Schlagzeilen huschen über die Köpfe der Mitarbeiter. Die gebündelten Zeitungen werden über eine Rampe in die Halle befördert, wo Dutzende Fahrer in der Nacht warten. Die ersten Wagen sind schon weg in Richtung Tessin und Wallis.
«Ich habe die Zeit im Nacken», sagt Bruno Sommerhalder (56), der die Abfahrten koordiniert. Er weiss, wie wichtig es ist, dass die Zeitungen pünktlich bei den Kunden sind. Um drei Uhr in der Früh verlassen die letzten Fahrer die Halle. Damit das Wygärtli in Thalheim, Hanni aus Walterswil, Christine vom Kiosk Müli in Langenthal und die restliche Schweiz den BLICK pünktlich erhalten. Nur Liseli und die Auslandschweizer müssen sich etwas länger gedulden.