ETH-Projekt soll den Klimawandel bekämpfen
Bäume sind unsere Retter

Die erste Vermessung globaler Ökosysteme zeigt: Pflanzen wir auf 0,9 Milliarden Hektaren Bäume, könnte es Hoffnung für die Menschheit geben.
Publiziert: 06.07.2019 um 16:40 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2019 um 10:43 Uhr
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Wälder wiederaufforsten, und zwar global gesehen und mittels Milliarden von Bäumen, könnte die Menschheit retten. Wen die Politik endlich aktiv wird, und wenn wir zuaätzlich den CO2-Ausstoss reduzieren.
Foto: Getty Images
Silvia Tschui

Manchmal braucht es für die einfachsten Lösungen die gebildetsten Menschen – weil der Weg zu den einfachsten Lösungen höchst komplex ist. Der Brite ­Thomas Crowther ist ein klassischer Überflieger: Mit 33 Jahren ist er bereits ETH-Professor, nach diversen Stationen an Elite-Unis wie Yale.

An der ETH hat er das Crowther-Laboratorium gegründet und mit seinem Team, über die ganze Welt gesehen, erstmalig Ökosysteme vermessen. Und als Erstes windet er im Gespräch der ETH ein Kränzchen: «Eine solche Forschung wäre ­nirgendwo anders möglich gewesen. Die ETH und die Schweiz ­ermutigen einen, sehr gross zu denken – und stellen dann die entsprechenden Mittel zur Verfügung. Es gibt weltweit keinen besseren Ort für inter­dis­­ziplinäre Grund­lagenforschung.» Und gross, das ist diese Forschung: Unfassbare 30 Millionen Messungen von Einzelbäumen, 120 000 Messungen von Bodeneigenheiten, dazu ein ­interdisziplinäres Vorgehen mit ­eigens entwickelten Computer­modellen, Algorithmen, mathematischen Modellen und künstlicher Intelligenz haben Crowther und seine Helfer global in unzähligen Messstationen eingesetzt, um zu erforschen, wie die globalen Ökosysteme den Kohlenstoff-Haushalt des Weltklimas regeln – und wie viel Kohlenstoff Wälder und Böden speichern können. 

Aufhalten lässt sich der Klimawandel nicht mehr

Dabei ist Crowther auf eine ein­fache Lösung gestossen, um den ­Klimawandel zu mildern. Ihn ganz zu stoppen, sei nicht mehr möglich, sagt er, der «point of no return» sei bereits überschritten. Aber grossflächige, weltweite Wiederaufforstung könnte das Schlimmste verhindern. Unter den aktuellen ­klimatischen Bedingungen gibt es auf der Erde insgesamt 0,9 Milliarden Hektar Land, ein Gebiet von der Grösse der USA, das sich zur Wiederaufforstung eignet. Davon ist der Platz, den wir Menschen für unsere Städte und für die Landwirtschaft brauchen, bereits abgezogen. Auf dem verfügbaren Land von 0,9 Milliarden Hektaren ist Platz für unzählige Milliarden Bäume. Und diese könnten bis 2050 insgesamt 205 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichern. Das entspricht etwa zwei Dritteln der 300 Milliarden Tonnen, die der Mensch seit ­Beginn der ­Industrialisierung in die Atmosphäre entliess.

Dass eine solche Wieder auf­forstung dringend nottut, macht ein Rückkopplungseffekt klar, den Crowther ebenfalls untersucht hat: Der Temperaturanstieg führt dazu, dass aufgrund eines kom­plexen Mechanismus Böden keinen Kohlenstoff mehr speichern, sondern den gespeicherten Kohlenstoff sogar an die Luft abgeben. So verstärkt sich der Temperaturanstieg des Planeten drastisch – um 17 Prozent! ­Bäume zu pflanzen, viele, ­Milliarden, tut also dringend not, soll die Menschheit überleben, sagt Crowther. Doch wo? Crowthers ­Vermessungsforschung zeigt sogar dies: In Russland, den USA, Kanada, Australien, Brasilien und China sind genügend Land­reserven vorhanden, wie eigens ­ent­wickelte ­Karten zeigen.

Auch Pilze helfen dem Klima

Crowther hat zu diesen Ergebnissen ein weiteres Feld hinzugefügt, das er global gesehen unter sucht hat: das der Pilznetzwerke in unseren Böden – «ein schlecht untersuchter, dabei auch für uns ­Men schen lebensnotwendiger Faktor ­unserer Öko- und Klimasysteme». Bestimmte Pilzarten, Mykorrhizapilze genannt, leben in einer ­Symbiose mit Bäumen. Ihre feinen Wurzeln bilden mit jenen der ­Bäume sozusagen eine Art eigenes ­Organ, das von den Bäumen ­Kohlenstoff zum Leben erhält und dieses speichert. Im Gegenzug schlüsselt das feine Pilzwurzel­geflecht Mineralstoffe aus dem ­Boden für die Bäume auf und stellt sie ihnen zur Verfügung. Zusätzlich schützt sie die Baumwurzeln vor schädlichen Pilzen und Bakterien.

Sechzig Prozent aller Bäume sind weltweit über solche Mykorrhiza-Netzwerke mit ihren Nachbarn verbunden und sind so in der Lage, ­untereinander Nährstoffe und chemische Informationen, etwa zu Schädlingsbefall, auszutauschen. Weiss man, wo und unter welchen Bedingungen welche Pilznetzwerke vorherrschen, kann man gezielt Baumarten, die sich mit ­diesen wohlfühlen, zur Wiederaufforstung wählen – und so die Erfolgsrate der Aufforstung steigern. Neu entwickelte Karten sowie eine App verbinden die Ansätze und lassen Anwender wie Regierungen oder Nonprofit-Organisationen weltweit mit einer Genauigkeit von rund einem Kilometer bestimmen, wo der Anbau welcher Bäume erfolgversprechend ist.

Regenwälder unter Druck

Ein Wermutstropfen ist allerdings in den im Allgemeinen ­hoffnungsvoll stimmenden ­Forschungsresultaten enthalten: ­Tropischen Wäldern kommt wegen ­ihrer grossen Baumdichte grosse Bedeutung im Abbau von Kohlenstoff zu. Korrupte Regierungen, Rechtspopulisten und Fakten­leugner wie etwa Jair Bolsonaro, der brasilianische Präsident, lassen ­aktuell frisch-fröhlich ­Wälder wie etwa den Amazonas-Regen-­wald abholzen, um an Kupfer und sonstige Rohstoffe zu kommen. In ­Gebieten wie Malaysia ­verschwinden wertvolle Tropen­hölzer rasend schnell – auf den ­geplünderten Flächen baut die Futter­- und Nahrungsmittel-­industrie Palmöl­plantagen an. Zurück bleiben nach wenigen ­Jahren verwüstete Landstriche – mit verheerenden Folgen für das glo­bale Klima.

Crowther warnt denn auch: «Wir könnten mit einer Wiederauf­forstung zwar zwei Drittel des ­Kohlenstoffs in der Erdatmosphäre binden – aber das bedeutet nicht, dass wir ihn weiterhin ausstossen dürfen. Wir müssen auf allen möglichen Wegen weiterhin gegen den Kohlenstoffausstoss kämpfen.» Möglichkeiten dafür liefert er dazu. Die Schweiz sei in ihrer Klein­teiligkeit zwar nicht für gross­flächige Wiederaufforstung geeignet – auch wenn Agroförsterei, eine Mischung aus Forst- und ­Landwirtschaft, hierzulande Erfolg ­haben könnte. Dafür kann sich aber jeder Interessierte bei seriö- sen Waldpflanzungsorganisationen einbringen, die auf der ­Website crowtherlab.com unter «Get Involved» aufgeführt sind. Und wer in irgend­etwas investiert, sagt Crowther – ob das nun ein Fonds sei oder ganz einfach beim Kleider- und Lebensmitteleinkauf –, solle dies auf nachhaltige Weise tun. 

Mehr Informationen, globale Karten, Wiederaufforstungsorganisationen, die App und mehr: crowtherlab.com

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