Das vergangene Weinjahr 2021 war für die Schweizer Winzerinnen und Winzer eine grosse Herausforderung: Viel Regen, Hagelschäden und falscher Mehltau führten trotz überraschend hoher Qualität zu teilweise dramatischen Ernteeinbussen. Deshalb wünschten sich für 2022 viele ein etwas weniger forderndes Jahr. Dieser Wunsch ging in Erfüllung, wie die grosse Umfrage von Blick zum neuen Jahrgang bei führenden Winzer-Persönlichkeiten aus allen Weinregionen zeigt.
Luigi Zanini (50), Castello Luigi, Besazio TI
«2022 ist der Jahrgang des Jahrhunderts! Offensichtlich war viel Geduld erforderlich, um die vollständige polyphenolische und aromatische Reife abzuwarten, obwohl die Zuckerkonzentration bereits Anfang September hoch war. Die Farbe, die Struktur und die Gerbstoffe sind grossartig. Am siebten Oktober haben wir die Ernte mit dem Cabernet Franc und dem Cabernet Sauvignon abgeschlossen. Es lebe der Jahrgang 2022!»
Martha (63) und Daniel Gantenbein (62), Fläsch GR
«Am sechsten Oktober haben wir die letzten Trauben geerntet. Der trockene Sommer hat uns etwas Sorgen bereitet, aber es hat noch zur richtigen Zeit geregnet. So dürfen wir auf ein tolles Jahr zurückblicken. Wie jedes Jahr hat uns die Vorselektion im Rebberg für die Qualitätssicherung vor der Weinlese gefordert. Das Resultat sieht sehr gut aus, sowohl in Sachen Menge als auch Qualität. Die Trauben konnten wir reif ernten, trotzdem waren die Oechslegrade nicht zu hoch. Beim Pinot Noir und Chardonnay möchten wir Kraft, Konzentration und Eleganz. Bei zu hohem Alkoholgehalt geht ein Teil der Eleganz verloren, trotzdem muss das Traubengut reif sein. Es ist halt immer eine Gratwanderung, aber wir sind sehr zufrieden.»
Jean-Pierre Pellegrin (61), Domaine Grand’Cour, Satigny GE
«2022 wird ein sehr schöner Jahrgang! Die jungen Rebstöcke mussten zwar leiden, weil sich deren Wurzeln nicht perfekt ausbilden konnten. Aber bei den älteren, ab rund fünf Jahren, war alles wunderbar. Bei gewissen Rebsorten haben wir mit Lesen gewartet, bis die kurze Niederschlagsperiode vorbei war, was sich total ausbezahlt hat. Der Jahrgang war wohl warm, aber nie so heiss wie 2013 oder 2018. Eine Rebe liebt eben die Sonne, das wird auf ewig so bleiben – wie der Mensch. Unter dem Strich: 2022 können wir Genfer Winzer uns als verwöhnte Winzer bezeichnen.»
Catherine Cruchon (35), Domaine Henri Cruchon, Echichens VD
«Es ist noch zu früh für eine endgültige Prognose, aber alles deutet auf einen sehr schönen, ausgeglichenen Jahrgang hin, der wohl warm war, aber niemals so heiss wie die vielen Hitzejahre zuvor. Beim Chasselas zum Beispiel ist der Zucker an einem Plafond gestossen, nicht wie 2018/19. Die pH-Werte sind mit 3,2 bis 3,4 sehr tief, was bei einem eher warmen Jahrgang äusserst interessant ist. Der Stickstoff-Gehalt war gering, weshalb die Gärung Mühe hatte, in Schwung zu kommen. Doch dann lief es. Der sanitarische Zustand der Trauben war wunderbar, die Säfte sehr dicht. Wir sehen den Weinjahrgang 2022 äusserst positiv.»
Diego Mathier (52), Adrian & Diego Mathier Nouveau Salquenen AG, Salgesch VS
«2022 wird ein sensationeller, genialer Jahrgang. Das zeigen auch jene Weine auf, welche die Gärung beendet haben. Bei denen ist der erste Eindruck grossartig: Tolle Tannin-Struktur, vollreif, aber trotz der Wärme nicht überreif, und knackig. Man ist ja immer auf der Suche nach dem perfekten Wein. Mit diesem einzigartigen Material aus den Rebbergen hat man die Basis, Weine zu machen, die der Perfektion nahekommen. Und die Rebstöcke waren auch nach der Lese immer noch voll im Saft. Wichtig ist in solch einem warmen Jahr, den Ertrag nicht zu extrem zu reduzieren. Besser ein Kilo statt wie sonst oft 500 bis 600 Gramm pro Quadratmeter am Stock zu lassen. So ist auch die Vegetationszeit länger und man erntet später. Tut man das nicht und reduziert wie gewohnt, keltert man Konfitüre.»
Markus Ruch (45), Neunkirch SH
«Wir starteten die Weinernte mit den weissen Trauben in der letzten Augustwoche so früh wie noch nie und schlossen die Weinlese am zwanzigsten September mit dem Pinot Noir ab. Das Traubengut war sehr gesund, aber bei einem guten Zuckergehalt ein wenig heterogen und mit ein bisschen zu wenig Säure. Aber wir freuen uns nach 2021 auf diesen versöhnlichen Jahrgang.»
Urs Zweifel (53), Stadtwinzer von Zürich, Zweifel 1898, Höngg ZH
«Wir haben einen sehr heissen und trockenen Sommer gehabt. Da befürchteten wir bereits, das gäbe wieder ausgekochte Beeren, viel Alkohol und keine Eleganz. Das war dann überhaupt nicht der Fall, weil wir gegen Ende Sommer ein bisschen Regen erhalten haben. Das hat die Trauben reifen und fruchtig werden lassen. So war der Zucker auch nicht so hoch wie befürchtet. Die Weine werden fruchtig-elegant sein. Auch der Pinot Noir, denn auch er ist nicht über-alkoholisch geworden. Zudem ist die Menge gut, was uns natürlich auch freut. 2022 ist ein Top-Jahrgang, der in Richtung 2011 oder 2015 geht.»