Der Chemiehersteller Cabb gerät nach dem Unfall vergangenen Freitag ins Visier der Strafverfolger. Die Baselbieter Staatsanwaltschaft hat ein Strafverfahren gegen Unbekannt eröffnet.
Am Freitagabend stieg über dem Cabb-Werk bei Pratteln BL weisser Dunst auf. Viele Menschen schliefen schon, als die App Alertswiss die Bevölkerung aufforderte, Türen und Fenster zu schliessen. Die «potenziell giftige Wolke» mit Essigsäure breitete sich bis nach Basel aus.
Sechs Stunden später hatten die Einsatzkräfte vor Ort die Wolke aus der Luft gewaschen. Entwarnung! In der Folge bestätigte die Staatsanwaltschaft gegenüber Keystone-SDA: Man ermittle, ob eine strafrechtlich relevante Handlung zum Stoffaustritt geführt habe. Zudem befasst sich auch das kantonale Amt für Umweltschutz und Energie sowie die SUVA, unterstützt durch das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit mit dem Unfall. Geprüft werde der Ablauf des Ereignisses und ob es vorfallspezifische Massnahmen brauche, schreibt die Baselbieter Regierung am Dienstag.
Die Chemiefirma Cabb hat ihrerseits am Donnerstag eine Medienkonferenz angesetzt. Sie wolle vertieft über die Ursache und die Bewältigung des Ereignisses und über das bestehende Sicherheitsdispositiv informieren, heisst es in der Einladung.
Schwere Vorwürfe
Der Unfall am Freitagabend reiht sich ein in die Firmengeschichte des Chemieherstellers Cabb, der das betreffende Werk in Schweizerhalle betreibt.
Meinrad Stöcklin (57) arbeitete bis 2016 als Sprecher für die Kantonspolizei Baselland, hat in dieser Funktion mehrere Unfälle bei Cabb miterlebt. Gegenüber Blick erhebt er nun schwere Vorwürfe gegen die Firma: «Dieses Werk gehört per sofort geschlossen!»
Der ehemalige Polizeisprecher erinnert sich an einen Chemieunfall in den frühen Morgenstunden des 24. Septembers 2010. Damals traten wegen eines Lecks in einer Pumpe 3000 Liter einer giftigen, chlorhaltigen Substanz aus.
Stöcklin fuhr sogleich zum Standort, um sich mit den Verantwortlichen des Chemiewerks abzusprechen. «Der Geschäftsinhaber fragte, ob man den Vorfall wirklich kommunizieren müsse. Es sei schliesslich nur die Firma selbst betroffen», erzählt er.
Dutzende Unfälle – ein Todesfall
In den Jahren darauf passieren bei der Cabb über ein Dutzend weitere Chemie-Unfälle. 2014 kommt ein Mitarbeiter ums Leben, nachdem er Chemikalien aus einem aufgebrochenen Container eingeatmet hat. 2016 kommt es innert drei Monaten zu fünf Vorfällen. In einem gibt die Cabb das Werk frei, obwohl noch giftige Stoffe austreten. Drei Polizisten müssen daraufhin zur Kontrolle ins Spital. Der letzte Vorfall geschah 2022.
Die Firma Cabb äussert sich auf Blick-Anfrage zur Häufung der Fälle: «Es gibt bei technischen Prozessen auch in der chemischen Industrie keine hundertprozentige Sicherheit.» Man habe in den letzten Jahren massiv in die Sicherheit investiert und die Anzahl Fälle reduzieren können. Die Firma wehrt sich gegen den Vorwurf, Vorfälle zu verharmlosen: «Wir kommunizieren stets offen und transparent.»
«Bringe mich hier doch nicht in Lebensgefahr»
Die Unsicherheit unter den Angestellten ist offenbar gross. Blick liegt eine Sprachnachricht aus der Unfallnacht letzten Freitag vor. Darin schildert ein Mitarbeiter die Situation, kurz nachdem die Chemikalien ausgetreten waren: «Das können sie nicht mehr verstecken! Hier ist alles voll mit Feuerwehr. Das Werk steht unter so einem Qualm und es stinkt erbärmlich! Ich gehe – bringe mich hier doch nicht in Lebensgefahr.»
Die Cabb betont gegenüber Blick, man pflege eine starke Sicherheitskultur: «Dazu gehört auch die Dokumentation und Analyse aller Ereignisse und Beinahe-Ereignisse», schreibt sie in einem Statement.
Nach dem Todesfall 2014 wurde der Arbeitskollege des Verstorbenen wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Anfang dieses Jahres sprach das Gericht einen Cabb-Mitarbeiter wegen Verstosses gegen das Gewässerschutzgesetz schuldig. Zuvor war kontaminiertes Abwasser in aus dem Werk der Cabb in den Rhein geflossen.
Ex-Landrat plädiert für Ultimatum
Auch Jürg Wiedemann (64), Baselbieter Landrat von 2003 bis 2019, hatte wegen der Missstände mehrere Vorstösse eingereicht. Die Cabb ist mit über 400 Mitarbeitern am Standort Pratteln ein wichtiger Arbeitgeber und Steuerzahler in der Region.
Die Behörden müssten der Firma ein Limit setzen, findet der ehemalige Landrat. «Und wenn dann wieder ein Unfall passiert, müsste man das Werk halt schliessen.»
Auch Meinrad Stöcklin sieht die Behörden in der Pflicht. «Ich habe den Regierungsrat schon während meiner Zeit als Polizeisprecher mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass solche Unfälle bei der Cabb zu oft passieren», sagt er. Reagiert habe niemand.