Am Freitagabend meldet der Kanton Basel-Landschaft über die Alertswiss-App eine Warnung für das Industriegebiet Schweizerhalle bei Pratteln BL. «Es muss mit der Freisetzung giftiger Stoffe gerechnet werden», heisst es in der Warnung. AlertSwiss weitete die Warnung kurz danach auch auf Basel-Stadt aus. Türen und Fenster sollten geschlossen werden und man solle sich nicht im Freien aufhalten. Giftwolken-Alarm!
In einem Produktionsgebäude des Chemieherstellers Cabb war Acetylchlorid (Essigsäure) ausgelaufen, wie die Behörden in der Nacht feststellten konnten. Wieviel ausgetreten ist, ist noch unklar. Die Substanz reagierte mit Sauerstoff und bildete eine Wolke, deren Geruch bis nach Binningen BL zu riechen war.
Über 200 Einsatzkräfte rückten mit einem Grossaufgebot aus, bekämpften mit Wasserwerfern «riesige weisse Wolken», wie ein Blick-Leserreporter berichtete. Das Unternehmen stellt Zwischenprodukte für Herbizide, Pestizide und Fungizide her.
Nach sechs Stunden unter Kontrolle
Um 2.30 Uhr gaben die Behörden schliesslich bekannt, dass Messungen zu keinem Zeitpunkt erhöhte Werte ausserhalb des Werkareals ergeben hätten. «Da es aber zu starken Geruchsemissionen in der Region gekommen ist, wird der Bevölkerung weiterhin empfohlen, Türen und Fenster zu schliessen sowie Lüftungen und Klimaanlagen abzuschalten.»
Nach rund sechs Stunden hatten die Einsatzkräfte den Stoffaustritt unter Kontrolle. Die Polizei teilt mit, dass der Austritt in der Region zu einer gut sichtbaren Säurewolke und zu starken Geruchsbelästigungen geführt habe. Personen wurden keine verletzt.
Die genaue Ursache der Havarie ist momentan noch unklar und ist Gegenstand von weiteren Abklärungen durch die Spezialisten der Polizei Basel-Landschaft. Die Flüssigkeit Acetylchlorid oder Essigsäure werde als Zwischenprodukt im Werk verwendet, sagte ein Sprecher der Firma Cabb auf Anfrage.
Cabb bedauert Ergebnis
Zur Bekämpfung der Havarie wurden gemäss der Polizeimitteilung sämtliche notwendigen Einsatzkräfte aufgeboten. Durch den Kantonalen Führungsstab seien ein Schadenplatzkommando zur Bewältigung des Ereignisses eingesetzt und der Kommandoposten in Liestal hochgefahren worden. Im Einsatz gestanden hätten über 200 Einsatzkräfte verschiedener Ereignisdienste. Über die von den Behörden eingerichtete kantonale Notfall-Hotline seien über 500 Anrufe eingegangen.
Cabb bedauert das Ereignis. Werkleiter Uwe Müller: «Wir verfügen über ein umfassendes Sicherheitsdispositiv und Einsatzmanagement, das bei einem Ereignis sofort zum Tragen kommt. Das war auch hier der Fall. Es ist eine Tatsache: In der chemischen Produktion arbeiten wir mit Stoffen und Produkten verschiedener Gefahrenklassen. Diesen Gefahren sind wir uns aber jederzeit bewusst und beherrschen diese.»
Erinnerungen an 1986
Bei der Firma Cabb selber war es in jüngerer Vergangenheit ebenfalls wiederholt zu Zwischenfällen mit Chemikalien gekommen. Im Mai 2021 wurden sechs Menschen nach einem Austritt von Chemikalien verletzt. 2014 war es sogar zu einem Todesfall gekommen. 2010 kam es bei Cabb zu einem Austritt von 3000 Litern Chloressigsäure. Auch damals bekämpfte die Feuerwehr die Giftwolken mit Wasserwerfern.
Nach wiederholten Zwischenfällen hatten 2016 der Werksleiter und ein Anlagenverantwortlicher das Unternehmen verlassen. Trotz des damals eingeleiteten Neuanfangs und Sicherheitsüberprüfungen kam es in den darauf folgenden Jahren erneut zu Zwischenfällen.
Die Cabb Group ist eines der führenden Unternehmen in der Herstellung und Entwicklung von kundenspezifischen Wirkstoffen im Bereich Crop Science. Cabb stellt ausserdem hochspezialisierte Inhaltsstoffe für Kunden aus der Life-Science und Performance-Materials-Branche her. Im Geschäftsjahr 2022 setzte die Gruppe mit rund 1.200 Mitarbeitern über 755 Millionen Euro um.
1986 kam es in Schweizerhalle BL zu einer Chemiekatastrophe. In einer Lagerhalle der Chemiefirma Sandoz brach damals ein Feuer aus, das sich rasant ausbreitete.
Über 1000 Tonnen diverser Chemikalien verbrannten, rund 20 Tonnen davon flossen mit dem Löschwasser in den Rhein, der sich rot färbte. Am Tag danach wurden nur noch tote Fische aus dem Fluss geborgen. (neo/nad)