Auf einen Blick
- Cucina povera nutzt einfache, regionale Zutaten und traditionelle Rezepte
- Weniger Fleisch, mehr Gemüse und Getreide für eine gesunde Ernährung
- Alles vom Tier verwerten
Heute sind unsere Supermärkte mit Produkten aus aller Welt gefüllt. Warum sollen wir uns mit Cucina povera beschäftigen?
Claudio Del Principe: Das grosse Food-Angebot der Supermärkte ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits ist es verlockend, dass wir jederzeit alles kaufen können, wonach es uns gelüstet. Die Kehrseite dieser stetigen Verfügbarkeit von allem ist aber negativ für uns und unsere Umwelt. Dieses System belastet die Natur, es frisst Ressourcen, es beutet Menschen aus, es erzeugt Foodwaste, und die Leute verlieren zunehmend die kulinarische Orientierung. Wer besser, gesünder und vernünftiger einkaufen, kochen und essen möchte, findet in der Cucina povera eine perfekte Formel für zeitgemässe Esskultur. Diese Formel bedeutet im Grund, so zu kochen, wie unsere Grossmütter es taten.
Wie gelingt das?
Erstens: echte, statt hoch verarbeitete Lebensmittel verwenden. Zweitens: regionale Produkte bevorzugen und damit automatisch saisonaler kochen. Drittens: mit wenigen Zutaten und simpler Zubereitung das Beste herausholen. Und viertens: Gemüse und Getreide bevorzugen und weniger Fleisch konsumieren.
Was macht die Cucina povera aus?
Die kürzeste Definition lautet: Kochen mit Lebensmitteln, die wenig kosten, nach traditionellen Rezepten. Cucina povera gilt als Arme-Leute-Küche. Und die gab es natürlich nicht nur in Italien. Jedes Land, auch die Schweiz, hat viele traditionelle Rezepte, die durch den heutigen Überfluss in Vergessenheit geraten sind. Dabei sind sie genial, weil viel wiederverwertet wird, wie zum Beispiel Brot. Denken wir nur an Vogelheu, Fotzelschnitten, Chirsipfannkuchen und so weiter. In der Cucina povera entstehen aus altem Brot ebenfalls grossartige Gerichte: Passatelli, Pisarei, Polpette, Brotsalat, Suppen, Eintöpfe und sogar Kuchen!
Welche Rolle spielt Fleisch in der Cucina povera?
Eine wichtige, aber dennoch untergeordnete Rolle. Fleisch gehört zu unserer Esskultur, zu einer ausgewogenen Ernährung und auch zu einem gesunden Landwirtschaftskreislauf. Aber heute wird eindeutig zu viel Fleisch konsumiert. Ausserdem viel zu extrem – einerseits massenhaft Billigfleisch, andererseits übertrieben edle und teure Premiumstücke. Vernünftig wäre, Fleisch massvoll zu geniessen. Ein- bis zweimal pro Woche statt jeden Tag. Und vor allem, alles vom Tier zu verwerten, inklusive Innereien und weniger edler Stücke.
Kennen Sie alle Rezepte in Ihrem neuen Buch aus Ihrem Elternhaus?
Einige Gerichte sind traditionelle Familienrezepte, ja. Aber ich habe bei meiner Recherche vor Ort, online und aus Kochbüchern jede Menge verborgene Schätze gefunden. Das Spezielle daran: Ich schlage immer auch eine zeitgemässe Variante vor, damit es noch leichter gelingt, regionale und saisonale Zutaten zu verwenden.
Andere Länderküchen polarisieren – die italienische Küche aber mögen gefühlt alle. Warum?
Die italienische Küche ist unkompliziert und dazu sehr geschmackvoll. Um gut italienisch zu kochen, braucht es weder viele noch exotische Zutaten und auch keine komplizierten Kochtechniken. Das macht sie so zugänglich und beliebt.