«Ich habe die beiden Caroline-Wahl-Bücher in einem Schnuuz gelesen», schreibt die Kollegin aus den Ferien. Eine Freundin erzählt: «Ich bin vor den Ferien abends extra noch an den Zürcher Hauptbahnhof gefahren, weil ihr Buch im Laden um die Ecke ausverkauft war.» Ich selbst habe mich durch ihre Romane gesuchtet und mich vor meinen eigenen Kindern versteckt, damit ich lesen kann. Als die Bücher fertig waren, wurde ich leicht depressiv, weil die Geschichte zu Ende war.
Dass ich auch ein Fan bin, sage ich der Autorin ganz unprofessionell. Denn es ist klar: Ich bin nicht die Einzige. Caroline Wahl (29) ist der neue Star der deutschsprachigen Literatur. Ihre Coming-of-Age-Romane werden gelobt und ausgezeichnet. In ihren Büchern ist das Schwimmen zentral. Einmal dient das Wasser als Schutzraum, einmal als Schmerzbetäuber.
Frau Wahl, ich höre Möwen. Sind Sie am Meer?
Caroline Wahl: Ich bin am Ijsselmeer. Also nicht wirklich am Meer. Es ist ein Binnensee in den Niederlanden, in Friesland, der durch einen Deich vom Meer getrennt ist. Aber am Wasser.
Störe ich Sie in den Ferien?
Nein, alles gut. Ich bin hier zum Schreiben, nicht nur zum Chillen. Es ist ein Schreiburlaub. Ich kann gut schreiben, wenn ich weg aus Deutschland bin. Ich nehme die Sorgen nicht mit. Und habe Wasser in der Nähe.
Sind Sie alleine?
Ja. Ich bin in einem Wohnwagen. Meine Familie hat hier einen stehen, seit ich drei oder vier Jahre alt bin. Wir fahren also öfters hierher. Meine Eltern kommen Mitte August und bringen meinen Wohnwagen mit.
Ihren Wohnwagen?
Ja, ich habe mir einen Wohnwagen gekauft. Erst kommt er hierher neben den meiner Eltern. Und dann möchte ich ihn näher zu Hause haben und an die Ostsee stellen. Die Idee ist, dass ich am Wochenende hochfahre zum Schreiben.
Sie sind 2022 nach Rostock gezogen. Warum Rostock?
Ich brauchte einen Brotjob, damit ich schreiben konnte, und es gibt nicht so viele Stellen in deutschen Küstenstädten. Ich wollte unbedingt am Meer leben.
Das wollen Sie, seit Sie ein Kind sind. Sie haben Ihren Eltern immer gesagt, dass Sie am Meer leben möchten.
Das stimmt. Auch als ich noch nie am Meer war. Wir sind von hier an die Nordsee gefahren, als Kind hat mich nichts so beeindruckt wie das Meer. Noch heute gibt mir nichts mehr als der Blick aufs offene Meer. Dieser Blick ins Offene, Weite und die Erkenntnis, wie klein und nichtig man selbst ist, mit seinen Problemchen.
Mehr über Literatur lesen
Nordsee, Ostsee. Mögen Sie lieber raue Gewässer?
Ich war einmal längere Zeit in Costa Rica und zweimal auf Bali. Aber hier taugt es mir besser. Ich mag das Raue, finde die Temperatur angenehmer, die Stimmung.
Wo schreiben Sie?
Ich stehe morgens auf, koche Kaffee, und dann schreibe ich im Vorzelt. Draussen ist Hochsaison, und ich blicke hinaus ins Treiben. Manchmal schreibe ich abends noch mal auf einer Bank am Wasser.
Fragen die Leute auf dem Campingplatz, was Sie tun?
Ein paar wissen es, ich komme ja schon seit der Kindheit hierher. Angesprochen hat mich noch keiner, hier sind viele Urlauber. Aber ein paar fragen sich sicher, was ich alleine hier in dem grossen Wohnwagen mache.
Ihre Protagonistinnen sind Schwimmerinnen. Schwimmen Sie auch?
Gar nicht. Ich laufe lieber. Ich kann nicht so abtauchen wie Tilda oder Ida. Ich bin gerne im Wasser oder am Wasser, aber ich ziehe nicht regelmässig Bahnen.
Aber Sie machen Ausflüge ans Meer. Um welche Uhrzeit sind Sie am liebsten da?
Gegen Abend, wenn die ersten Leute gehen.
Warum spielt das Wasser, konkret das Schwimmen, so eine zentrale Rolle in Ihren Büchern?
Tilda, die Hauptfigur, war als Erstes in meinem Kopf. Sie brauchte einen Schutzraum, wo sie Kraft tanken kann und wortwörtlich abtaucht. Das Wasser hat etwas Meditatives, und eine andere Qualität, als wenn sie einfach laufen würde. Das Freibad ist ein schöner Ort der Kindheit; alle legen ihre Hintergründe ab, wenn sie hineingehen.
Hatten Sie beim Schreiben von «22 Bahnen» ein bestimmtes Schwimmbad im Kopf?
Ja, das Waldschwimmbad, das zwischen unserem Ort und der Schule lag. Wir wohnten sehr abseits und fuhren mit dem Bus in die Schule. Der Vorteil: Auf der Strecke lag das Schwimmbad. Dort verbrachte ich als Kind und Jugendliche viel Zeit.
Tilda schwimmt täglich exakt 22 Bahnen. Haben Sie auch etwas Neurotisches?
Nicht mit Zahlen. Aber ich brauche Struktur und immer gleiche Abläufe. Hier koche ich morgens Kaffee, mache die Jalousien des Vorzelts auf, schreibe bis mittags und gehe täglich dieselbe Strecke laufen. Mein Tagesablauf ist immer gleich. Wenn man selbständig ist, braucht man Struktur. Aber ich habe auch auf Reisen eine Routine.
Und zu Hause, im Privaten, haben Sie auch einen Tick?
Ich weiss nicht, ob bei mir noch etwas privat ist. Das ist mein Leben, ich hab es immer dabei. Das ist alles verschmolzen. Schreiben ist, was mich 24/7 beschäftigt.
Sie haben auch ein ambitioniertes Ziel. Im Podcast «Hotel Matze» sagen Sie: «Ich will eine der bekanntesten Autorinnen Deutschlands werden.»
Ja, das will ich. Ich bin ehrgeizig und will irgendwo die Beste sein. Ich will gut vom Schreiben leben können.
Caroline Wahl wurde 1995 in Mainz geboren und wuchs in der Nähe von Heidelberg auf. Sie hat Germanistik in Tübingen und Deutsche Literatur in Berlin studiert. Sie arbeitete in Verlagen, unter anderem bei Diogenes in Zürich. 2023 erschien ihr Debütroman «22 Bahnen» bei Dumont, für den sie mit diversen Preisen ausgezeichnet wurde. Im Mai 2024 folgte «Windstärke 17», derzeit ist das Buch auf Platz 2 der «Spiegel»-Bestsellerliste. Caroline Wahl lebt in Rostock, zieht aber im Herbst nach Kiel um, eine andere deutsche Küstenstadt.
Caroline Wahl wurde 1995 in Mainz geboren und wuchs in der Nähe von Heidelberg auf. Sie hat Germanistik in Tübingen und Deutsche Literatur in Berlin studiert. Sie arbeitete in Verlagen, unter anderem bei Diogenes in Zürich. 2023 erschien ihr Debütroman «22 Bahnen» bei Dumont, für den sie mit diversen Preisen ausgezeichnet wurde. Im Mai 2024 folgte «Windstärke 17», derzeit ist das Buch auf Platz 2 der «Spiegel»-Bestsellerliste. Caroline Wahl lebt in Rostock, zieht aber im Herbst nach Kiel um, eine andere deutsche Küstenstadt.
Ihr zweites Buch, das Mitte Mai erschien, ist ein sogenannter Spin-off. Es geht nun um die jüngere Schwester von Tilda, Ida. Wann war Ihnen klar, dass die Geschichte weitergeht?
Am Ende vom Lektorat von «22 Bahnen». Es beschäftigte mich, dass Ida alleine bleibt, mit ihrer alkoholkranken Mutter. Als «22 Bahnen» im Druck war, habe ich angefangen.
Warum haben Sie nicht die Geschichte der süchtigen Mutter erzählt?
Das fragen mich einige. Aber ich hatte diesen Gedanken nie, weil ich es mir auch nicht so zutraue. Ausserdem endet die Geschichte schlecht, und das mag ich nicht. Ich mag lieber offene und positive Enden.
Ist die Geschichte jetzt fertig?
Jetzt kommt erst mal was anderes. Aber es kann schon sein, dass ich noch einmal in den Kosmos von Tilda und Ida eintauche, ich halte mir die Türe offen.
Sie schreiben also gerade an was Neuem?
Ja, das kommt im Herbst 2025. Aber da darf ich leider gar nichts sagen.
Kommen Sie in Ihrem Schreiburlaub auch zum Lesen?
Ja, aber ich höre auch viele Hörbücher. Gerade habe ich «Die schönste Version» von Ruth-Maria Thomas gehört, und jetzt lese ich «Romantic Comedy» von Curtis Sittenfeld.
Im ersten Buch schwimmt die Protagonistin im Freibad, im zweiten in der Ostsee auf der Insel Rügen. Waren Sie für «Windstärke 17» auf Recherchereise auf Rügen?
Ich war noch nie auf Rügen und habe alles mit Google Maps nachgeschaut. Den Grossteil des Buchs habe ich auf Bali geschrieben. Ich musste schauen, dass ich Rügen nicht wie Bali darstelle, mit Surfer Dudes und Matcha Latte. Ich fuhr dann doch noch auf Rügen. Rügen ist toll, und ich freue mich, dass ich einen Rügen-Roman geschrieben habe.
Sie sind 29 und schon sehr oft umgezogen. Sie waren auch ein Jahr in Zürich.
Zürich war richtig kacke. Das war nicht meine beste Zeit. Mein Job bei einem Schweizer Verlag war nicht gut, und ich bin in der Stadt gar nicht angekommen. Diese schöne, dekadente, superreiche Stadt. Draussen alles sauberer als drin. Das Buch «22 Bahnen» wurde in dieser Zeit zu meinem Schutzraum.
Wie meinen Sie das?
Ich hab das komplette Buch in Zürich geschrieben – am Abend und am Wochenende. Ich schrieb in einer ganz kleinen 1-Zimmer-Wohnung im Seefeld. In einer ganz kleinen, ganz teuren 1-Zimmer-Wohnung im Seefeld.
Aber etwas zieht sich durch: Sie ziehen immer an Städte am Wasser.
Ja, eine Stadt ohne Wasser ist ganz schlimm.
Ist das Schwimmen in Ihrem nächsten Buch auch wieder Thema?
Wasser kommt vor.