Wie starb Franz Kafka?
Als Franz Kafka im Sanatorium Kierling nördlich von Wien die Druckfahnen seiner Erzählung «Der Hungerkünstler» liest, schiessen ihm Tränen in die Augen.
Er, der wegen Appetitlosigkeit und seines geschwollenen Kehlkopfs nicht mehr genug isst und bei einer Körpergrösse von über 1,80 Metern nur noch 45 Kilogramm wiegt.
Seit dem 19. April 1924 ist Kafka in Kierling, um sich bei Luftbädern von seiner 1917 diagnostizierten Lungentuberkulose zu erholen.
Zuletzt greifen die Bakterien auch seinen Kehlkopf an, was neben brennenden Schmerzen im Hals auch zum Verlust seiner Stimmkraft führt.
Am Dienstag, 3. Juni 1924 stirbt Kafka vermutlich an einer Überdosis Morphium gegen die Schmerzen. Als Todesursache steht «Herzlähmung». Sein Grab ist auf dem Neuen jüdischen Friedhof in Prag.
Sollten mit Kafkas Tod seine Romane verschwinden?
Kafka hinterlässt zwei testamentarische Verfügungen, in denen er seinen Freund Max Brod (1884–1968) auffordert, Manuskripte, Tagebücher und Briefe zu vernichten.
Will Kafka sein geistiges Schaffen mit in den Tod reissen? Keineswegs, denn die zu Lebzeiten veröffentlichten Erzählungen wie «Die Strafkolonie» (1919) betrifft der Wunsch nicht.
Es geht ihm um zwei andere Punkte: Einerseits sollen private Notizen nicht in fremde Hände, andererseits unvollendete Werke nicht an die Öffentlichkeit gelangen.
Brod widersetzt sich diesem letzten Willen und publiziert posthum die Romane «Der Prozess» (1925), «Das Schloss» (1926) und «Der Verschollene» (1927).
Zu Lebzeiten war Kafka kein unbekannter Autor, aber erst mit den Romanen beginnt sein internationaler Weltruhm.
Wieso sterben viele Helden in Kafkas Werk?
Ob in den Erzählungen «Das Urteil» (1913) und «Die Verwandlung» (1915) oder im Roman «Der Prozess» – auffallend häufig sterben in Kafkas Büchern die Hauptfiguren.
Zu dieser Vorliebe für Untergänge macht der Schriftsteller bereits im Dezember 1914 einen selbstkritischen Tagebucheintrag.
«An allen diesen guten und stark überzeugenden Stellen handelt es sich immer darum, dass jemand stirbt», schreibt er dort.
Für die beschriebene Figur liege darin ein Unrecht und wenigstens eine Härte, und für den Leser sei das seiner Meinung nach rührend.
«Für mich aber, der ich glaube auf dem Sterbebett zufrieden sein zu können, sind solche Schilderungen im geheimen ein Spiel», so Kafka weiter.
Klaute Brecht die Figur K. von Kafka?
Das ist wohl der berühmteste Romananfang: «Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.»
Es handelt sich um den ersten Satz aus Franz Kafkas «Der Prozess». Der Bankprokurist K. kann nicht herausfinden, weswegen er angeklagt ist und wie er sich wehren kann.
«Herr K., der für die Ordnung der menschlichen Beziehung war, blieb zeit seines Lebens in Kämpfe verwickelt.» Was wie Kafka klingt, ist Bertolt Brecht (1898–1956).
Seine Parabel-Sammlung «Geschichten vom Herrn K.» – auch bekannt als «Geschichten vom Herrn Keuner» – veröffentlichte Brecht erstmals 1948 in den «Kalendergeschichten».
Hat Brecht bei Kafka abgekupfert? Sicher ist, dass Brecht das Werk von Kafka kannte. Und theoretisch hätten sie sich 1923 treffen können, da damals beide in Berlin waren.
Was bedeutet «kafkaesk»?
Als Eigenschaftswort in den allgemeinen Wortschatz einziehen – das ist nicht einmal den deutschen Klassikern Goethe und Schiller gelungen.
«Kafkaesk» bedeutet gemäss Duden «auf unergründliche Weise bedrohlich» und rührt im Wesentlichen von der Situation Josef K.s in «Der Prozess» her.
Der Begriff kommt in den 1950er-Jahren international in Mode und beschreibt das willkürliche Ausgeliefert-Sein des Einzelnen an die Bürokratie.
Kafkas Freund Max Brod soll das Wort erstmals erwähnt haben. Kafkaesk, sagt Brod offenbar bereits 1921, sei genau «das, was Kafka nicht ist».
«Kafkaesk» ist allerdings nicht dasselbe wie «absurd». So lässt sich von einem «absurd grossen Auto» sprechen, nicht aber von einem «kafkaesk grossen Auto».
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Interessierte sich Kafka für Politik?
Auch wenn Franz Kafka für seine Literatur nachweislich aus dem Lebensumfeld schöpft, so lässt sich darin keine tagespolitische Aktualität nachlesen.
Die Erzählungen und Romane sind auffallend zeitlos – deshalb altern sie so gut und sind für jede Generation zugänglich.
Das heisst aber nicht, dass Kafka politisch desinteressiert ist – ganz im Gegenteil: Er liest täglich Zeitung, meist das liberale «Prager Tagblatt», manchmal das «Berliner Tagblatt».
Während des Ersten Weltkriegs (1914–1918) ist es überlebenswichtig, die Presse zu verfolgen, um von amtlichen Bekanntmachungen zu erfahren.
Obwohl das Radio ein halbes Jahr vor Kafkas Tod mit dem Rundfunk beginnt, hört er es nicht mehr – er hätte sich einen Radioempfänger gar nicht leisten können.
Womit verdiente Kafka sein Geld?
Der Verkauf des ersten Büchleins «Betrachtung» (1912) ist für Kafka ein Misserfolg. Das Schreiben betreibt er zwar mit viel Leidenschaft, aber nebenbei bis spät in die Nacht.
Schreiben ist die Butter, als «Brotberuf» bezeichnet der promovierte Jurist seine Anstellung bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen und Prag.
Von 1908 bis 1922 arbeitet er dort, macht zuerst Unfallverhütungsvorschriften und schreibt später Gebrauchsanleitungen und Technikdokumentationen.
1911 kommt eine vermeintlich neue Einnahmequelle dazu: Mit seinem Schwager ist Kafka Inhaber der Prager Asbestwerke Hermann & Co. Doch die Firma geht 1918 pleite.
Während sich Kafka in der Versicherung um den Arbeitsschutz kümmert, gibt es im Asbestwerk offenbar keine Schutzkleidung. «Die Qual, die mir die Fabrik macht», notiert Kafka.
Welche Beziehung hatte Kafka zu Frauen?
Entgegen dem mönchischen Abbild, das Kafka zuweilen abgibt, ist er den Frauen durchaus zugetan. Als Student geht er regelmässig zu Prostituierten.
Und auch die Frauen finden an Kafka Gefallen: 1914 verlobt er sich mit Felice Bauer (1887–1960). Doch schon sechs Wochen später kommt es zur Entlobung.
Dieses Anziehen und Abstossen, diese Bindungsangst wiederholt sich mit Julie Wohryzek (1891–1944), mit der er von 1919 bis 1920 verlobt ist.
Auch die Beziehung zu Milena Jesenská (1896–1944), der tschechischen Übersetzerin von Kafkas Werken, endet 1920 abrupt.
Zuletzt schmiedet Kafka mit Dora Diamant (1898–1950) Heiratspläne, doch die scheitern zunächst an Diamants Vater, dann an Kafkas Gesundheit. Sie pflegt ihn aber bis zum Tod.
Erlebte Kafka als Jude Anfeindungen?
Kafka ist in Prag zweifach in der Minderheit: einerseits als Deutschsprachiger unter Tschechen, andererseits als Jude unter Christen.
So ist er seit seiner Kindheit Anfeindungen gewohnt – oft ist nicht eindeutig, ob es um Hass gegen das Deutsche im Allgemeinen oder gegen Juden im Speziellen geht.
Im Dezember 1897 zieht ein tschechischer Mob tagelang Steine werfend und plündernd durch die Prager Strassen und verwüstet Kafkas Altstädter Gymnasium.
Lebensgefahr besteht nicht, doch mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918 nimmt die Rechtssicherheit der Juden gefährlich ab.
«Die ganzen Nachmittage bin ich jetzt auf den Gassen und bade im Judenhass», schreibt Kafka 1920 an Milena Jesenská; später hegt er Auswanderungspläne.
Gibt es noch Unentdecktes von Kafka?
Als die Gestapo 1933 die Berliner Wohnung von Kafkas letzter Freundin Dora Diamant durchsucht, gehen etwa 20 seiner Notizbücher aus den letzten Lebensjahren verloren.
Nach der Hausdurchsuchung schreibt Diamant an Max Brod: «Franzens Sachen sind weg. Briefe, Tagebuchblätter und alles andere, was ich hatte.»
Ein Grossteil der Gestapo-Akten lagert heute im deutschen Bundesarchiv in Koblenz – rund 6000 Laufmeter, worunter sich einige Zentimeter Kafka befinden könnten.
Bereits vor fünf Jahren forderte der Kafka-Herausgeber Hans-Gerd Koch (70) die Behörden auf, diesen Aktenberg endlich zu erschliessen.
Im Gegensatz zu den letzten Schriften dürfte von den ersten, umfangreichen literarischen Versuchen nichts mehr übrig sein – die hat Kafka wahrscheinlich selber vernichtet.