Auf einen Blick
- Raserei in Deutschland und der Schweiz nimmt zu
- Junge Männer werden am häufigsten wegen Rasens verurteilt
- Verkehrsforscher fordert kontroverse Lösung
- Kommen Leistungsstufen wie bei Motorrädern?
Deutschland hat eine mächtige Autoindustrie. Und ein mächtiges Problem mit Rasern. Fast 1700 «eindeutige» illegale Autorennen registrierte die deutsche Polizei alleine bis Ende Oktober 2023 – 100 mehr als im Vorjahr. Bei den Verdachtsfällen auf illegale Raserei kommen die Ordnungskräfte 2023 laut «Spiegel» sogar auf 6187 Fälle – 10 Prozent mehr als 2022. Doch Rasen ist nicht nur im Autoland Deutschland ein grosses Problem, sondern auch in der Schweiz. Obwohl seit 2013 der sogenannte Rasertatbestand gesetzlich verankert ist und entsprechend harte Strafen beim Fahren mit massiv überhöhter Geschwindigkeit drohen, sind die ausgesprochenen Verurteilungen wegen Raserei in den letzten Jahren auf konstant hohem Niveau.
Gab es 2013 bei der Einführung des Raserartikels 51 Verurteilte, erhöhte sich die Zahl in den kommenden Jahren auf konstant je über 400 mit einem vorläufigen Höhepunkt im Corona-Jahr 2021, als über 500 Personen in der Schweiz wegen Rasens verurteilt wurden. In den letzten beiden Jahren sind die Delikte kaum zurückgegangen. Den jeweils grössten Anteil machten dabei stets junge Männer im Alter zwischen 20 und 24 Jahren aus.
Was zählt als Raserdelikt?
Erlaubte Geschwindigkeit | Raserdelikt | Überschreitung |
30 km/h | ab 70 km/h | 40 km/h |
50 km/h (innerorts) | ab 100 km/h | 50 km/h |
80 km/h (ausserorts) | ab 140 km/h | 60 km/h |
120 km/h (Autobahn) | ab 200 km/h | 80 km/h |
Mangelnde Gefahrenwahrnehmung
«Das Testosteron fördert Aggression auf ganzer Linie», erklärt der pensionierte Verkehrspsychologe Urs Gerhard gegenüber SRF das unausgeglichene Geschlechterverhältnis. Zu fehlender Erfahrung und mangelnder Fahrpraxis kommt noch mangelhafte Wahrnehmung und Selbstüberschätzung hinzu – ein explosiver Mix, der schlimmstenfalls nicht nur die Leben der Raser, sondern auch von Unbeteiligten gefährdet. Deshalb führt der deutsche Verkehrsforscher Andreas Knie nun einen besonders kontroversen Lösungsansatz ins Feld: «Wenn die Unfälle durch Raserei nicht abnehmen, muss darüber gesprochen werden, ob Männer erst mit der Vollendung des 26. Lebensjahres einen Führerschein bekommen sollten», so der Wissenschaftler gegenüber dem TV-Sender RBB.
«Die Forschung liefert klare Belege, dass Selbstüberschätzung auch entwicklungspsychologische Gründe hat und die Gefahrenwahrnehmung bei jungen Männern effektiv teilweise erst mit 26 Jahren voll ausgebildet ist», sagt auch Michael Gehrken, Präsident des Fahrlehrer-Dachverbands L-drive Schweiz. «Allerdings lässt sich dies nicht derart auf alle verallgemeinern, als dass derart massive Eingriffe sinnvoll erscheinen.»
Höhere Leistungen erst mit höherem Alter
Verkehrsforscher Knie, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) fungiert, hat aber noch einen Alternativvorschlag parat: Ähnlich wie bei Motorrädern könnte auch bei Autos über ein System nachgedacht werden, in dem Junglenker nach bestandener Prüfung zuerst nur mit leistungsbegrenzten Fahrzeugen unterwegs sein dürfen. Nur, wer sich in dieser Probezeit nichts zuschulden kommen lässt, könnte danach ans Steuer potenterer Autos wechseln.
«Die Frage von Leistungsbeschränkungen wird sich in den kommenden Jahren sicherlich zusehends stellen», meint auch Michael Gehrken. «Gerade im Hinblick auf Elektroautos und Elektro-Töffs mit immer höheren Leistungswerten sehe ich ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Eine generelle Lösung wie bei Motorrädern würde einer möglichen Erhöhung der Altersgrenze entgegenwirken.»
Bis zu vier Jahre Freiheitsstrafe
Obwohl die Strafen für Raser in der Schweiz deutlich höher ausfallen als etwa in Deutschland, fordert der Fahrlehrer-Präsident noch rigorosere Konsequenzen: «Die 2023 vom Parlament beschlossene Abschwächung des Raser-Artikels war und ist kontraproduktiv.» Was Gehrken meint: Seit einer Gesetzesanpassung im letzten Jahr sind unter bestimmten Umständen mildere Strafen für Raser möglich, etwa, wenn die Täterin oder der Täter in der Vergangenheit noch kein gravierendes Verkehrsdelikt begangen oder aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat, beispielsweise bei medizinischen Notfällen.
In der Schweiz gilt bei Raserdelikten aber weiterhin eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr – bei besonders schweren Verstössen drohen sogar bis zu vier Jahre. Der Führerausweis ist für mindestens zwei Jahre weg. Laut Verkehrspsychologe Gerhard reicht der drohende Fahrausweisentzug nicht: «Es bräuchte dichtere Kontrollen oder bei Junglenkern gar eingebaute Fahrtenschreiber, die genau aufzeichnen, wie schnell sie innerorts und ausserorts fahren.»