Vor gut fünf Jahren knallten bei Seat im spanischen Martorell nahe Barcelona die Korken. Im Februar 2018 ging die neue Tochtermarke Cupra an den Start – eine Ausstattungslinie wurde zur eigenständigen Marke. Ein Risiko, schliesslich fehlten ihr Tradition, Image und Kundenstamm. Luca de Meo (55), damals Chef von Seat und heute Renault-Boss, war dennoch euphorisch: Cupra sollte Kundschaft mit sportlicheren Ambitionen bedienen und Seat den Weg in die Elektrifizierung weisen.
Entgegen aller Unkenrufe: Cupra entpuppte sich als Erfolgsgeschichte und ist aktuell die am schnellsten wachsende Automarke in Europa. Über 300'000 Fahrzeuge liefen bisher vom Band, davon ging ein Fünftel nach Deutschland, dem wichtigsten Markt. Weltweit verkauften die Spanier im vergangenen Jahr 150'000 Autos und verdoppelten ihren Umsatz – trotz Corona-Nachwehen und Ukraine-Krieg. Am Genfer Autosalon 2018 gings noch bescheiden los mit einem auf Leistung gebürsteten Seat Ateca als einzigem Modell; eine ähnliche Variante des Kompaktwagens Leon folgte. Doch erst der 2020 eingeführte Formentor, das erste nur für Cupra entwickelte Auto, schlug richtig ein – auch dank des von Konzernschwester Audi übernommenen Fünfzylinders mit 390 PS.
Design als Erfolgsschlüssel
Woher rührt der Erfolg? «Wir haben mit unserem Design den Nerv der Zeit getroffen», sagt Wayne Griffiths (57). Seit 2019 ist der Brite Cupra-Chef. Ein Jahr später übernahm er praktischerweise zusätzlich die Leitung von Mutter Seat und setzt Cupra hohe Ziele: «2023 werden wir uns nochmals deutlich steigern. Halbleiter sind jetzt wieder besser lieferbar.» Die Lieferrückstände des ersten Cupra-Stromers Born sollen jetzt schnell aufgeholt werden: «2023 wollen wir doppelt so viele Born auf die Strasse bringen wie 2022.» Vor allem Neukunden ziehe Cupra an: «Für 70 Prozent unserer Kunden wäre ein Modell der anderen VW-Konzernmarken keine Alternative gewesen», so Griffiths.
Mit dem Tavascan enthüllt er nun das zweite echte Cupra-Modell – ebenfalls mit reinem Elektroantrieb. Bis 2030 soll Cupra zur Elektro-Marke werden. Und ein mittelgrosses SUV-Coupé wie der 4,60 Meter lange Tavascan dürfte schnell die Verkaufszahlen pushen. Als erstes Modell im ganzen VW-Konzern nutzt die Topversion namens VZ einen neuen Allradantrieb mit 340 PS/250 kW; die Basisversion mit Hinterradantrieb kommt auf 286 PS/210 kW. Bis zu 550 Kilometer Reichweite sollen dank 77 Kilowattstunden Batteriekapazität möglich sein. Obwohl in Barcelona gestylt und entwickelt, wird das Modell auch für Europa in China gebaut. Denn das Stammwerk Martorell ist mit aktuellen Verbrenner-Modellen von Seat und Cupra voll ausgelastet. Und ab 2025 werden dort auch der kleine elektrische Cupra Urban Rebel und dessen VW-Bruder ID.2 vom Band laufen.
Was wird aus Seat?
Zudem schaut Griffiths längst über Europa hinaus. Letztes Jahr startete Cupra in Australien, einem für alle Newcomer harten Markt. Bald schon solls auch nach Amerika gehen: «Die Amis werden das Cupra-Design und die Performance lieben. In Südamerika dagegen wird die Transformation zur E-Mobilität länger dauern, dort sehen wir eher Chancen für unsere Verbrenner.»
Mit dem Erfolg der Tochter rückt Seat in den Hintergrund. Neue Modelle sind nicht in Sicht – dabei galt Seat vor Cupra auch in der Schweiz als hippste aller VW-Konzernmarken mit der jüngsten Kundschaft. Heute ist der durchschnittliche Formentor-Käufer 48 Jahre alt und damit viel jünger als bei etablierten Marken. Wird Seat womöglich verschwinden? «Dass Cupra ab 2030 nur noch E-Autos baut, bedeutet nicht, dass es keine Benziner oder Diesel von Seat mehr geben wird», beschwichtigt Griffiths. «Niemand weiss, wie lange der Übergang zum E-Auto dauert. Bis 2035 werden sicher in einigen europäischen Regionen Verbrenner verkauft.» Und die Märkte seien volatil, wie das Beispiel Deutschland zeige: Letztes Jahr gingen die Verkäufe elektrifizierter Modelle durch die Decke – und brachen im Januar mit der Streichung staatlicher Unterstützung für die Plug-in-Hybride ein.
Mobilität statt Autos
Doch Griffiths und sein Team denken bereits darüber nach, die Marke stärker auf Mobilitätslösungen statt nur auf den Autoverkauf zu fokussieren. Schon jetzt werden unter der Submarke Mó elektrische Roller und Scooter verkauft. «Wie alle Marken wird sich auch Seat transformieren und neue Geschäftsfelder erschliessen müssen. Wer sich heute nicht dem Markt anpasst, ist in einigen Jahren verschwunden», ist sich Griffiths sicher. Seat könne eine Marke für jene Kunden werden, die effiziente Mobilität mehr lieben als Autos: «Viele junge Menschen wollen kein Auto mehr besitzen, sondern sich Mobilität kaufen. Wir erleben in Barcelona gerade Diskussionen, wie eine Stadt ohne Autos aussehen könnte. Für mich sind E-Autos aber nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.»
Diese Frage stellt man sich nicht nur in Barcelona. Ebenso die Frage, warum E-Autos immer gross und vergleichsweise teuer sind. «Wir brauchen tatsächlich mehr bezahlbare Stromer», stimmt Griffiths zu. «Idealerweise solche, die nicht mehr als ein Benziner kosten.» Das müsse nicht zwingend die Aufgabe von Cupra sein – aber möglicherweise die von Seat oder anderen Marken des VW-Konzerns. Dabei müsse der Einstiegspreis zwischen 25'000 und 30'000 Franken liegen. «Wenn wir in Europa diese Modelle nicht entwickeln und bauen, werden es andere Hersteller tun.»
Umso zurückhaltender bleibt Griffiths beim inzwischen tendenziell entzauberten Trendthema autonomes Fahren. Wird im Cupra irgendwann die Elektronik das Steuer übernehmen? Eher nicht, glaubt der Brite: «Wir wollen keine Fahrzeuge entwickeln, in denen man unterwegs schläft oder Zeitung liest. Unsere Autos fahren elektrisch, sind aber nie langweilig. Cupra bleibt eine Automarke.»