Neustart der italienischen Traditionsmarke
Schafft es Lancia zurück zu alter Klasse?

Nach sieben Jahren Funkstille lanciert der Stellantis-Konzern die einstige Glamour-Marke Lancia neu. CEO Luca Napolitano setzt auf Elektroantriebe, Noblesse und Design – aber wird das reichen für einen Neustart?
Publiziert: 29.03.2024 um 11:21 Uhr
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Die italienische Traditionsmarke Lancia kehrt zurück! Nach sieben Jahren der Abwesenheit startet in diesem Jahr die neue Generation des Kleinwagens Ypsilon.
Foto: Zvg
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

Vergessen wir Mercedes. Keine Rede von Aston Martin oder Rolls-Royce. BMW? Produzierte Motorräder und Kochgeschirr. Und Ferrari? Lernte gerade erst das Laufen auf den Rennstrecken Europas. Nein, wer in der europäischen High Society der 1950er-Jahre etwas auf sich hielt, fuhr Lancia. Audrey Hepburn (1929–1993), Jean-Paul Belmondo (1933–2021), Brigitte Bardot (89) oder Marcello Mastroianni (1924–1996): Die Publikumslieblinge des Kinos strichen nicht etwa Honorare ein, um sich im Lancia ablichten zu lassen – sie fuhren ihn privat, gezahlt aus eigener Tasche.

Style, Image und Ingenieurskunst vom Allerinnovativsten – selten genug kommen alle drei Faktoren zusammen, aber bei Lancia wars der Fall. Der Aurelia B24 Spider galt als eines der schönsten Autos seiner Zeit. Die Modelle der vom Rennfahrer und Tüftler Vincenzo Lancia (1881–1937) 1906 in Turin (I) gegründeten Marke waren zwar nicht ganz günstig, aber zuverlässig. Und mit dem Lambda von 1922 erfand Lancia einst das moderne Auto von heute: selbsttragende Karosserie, Einzelradaufhängung, Stossdämpfer. Tech-Nerds von damals liebten Lancia.

Schluss mit Retro

So solls auch wieder in Zukunft sein. Im letzten Jahr zeigte Lancia nach 17 Jahren endlich wieder eine Designstudie und dieses Jahr startet mit dem neuen Lancia Y das erste von drei neuen Modellen im Stil des Concept Cars Pu+Ra HPE. Das Kürzel HPE schmückte schon einst die Lancia-Kombis. Aber Markenchef Luca Napolitano (48) will nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und auf die Nostalgiekarte setzen – auch wenn der Pu+Ra HPE viele Details alter Modelle aufgreift. Denn Krise herrschte bei Lancia immer dann, wenn man sich mit der Tradition durchzumogeln versuchte.

Wie zum 100. Geburtstag 2006, als die längst zum Fiat-Konzern gehörende Marke nach lustlosen Jahren mit Prunk und Prominenz eine neue Generation des legendären Modells Delta vorstellte. Zu wenig, um in der folgenden Finanzkrise zu bestehen: Fiat stieg beim US-Pleitekonzern Chrysler ein – und als er ihn 2014 komplett übernahm, musste Fiat-Boss Sergio Marchionne (1952–2018) noch mehr sparen, sperrte 2017 das defizitäre Lancia in Europa zu und warf den Schlüssel weg. Nur der Kleinwagen Ypsilon blieb allein in Italien auf dem Markt – und noch 2023 sogar der Bestseller im Segment. Aber der Rest der Welt? Hand aufs Herz: Der vergass Lancia.

Wer ist Lancia?

1906 gegründet, fuhr der italienische Autobauer Lancia lange Zeit technisch der Konkurrenz davon. Erste selbsttragende Karosserie ohne schweren Rahmen, pfiffige V-Motoren mit kleinen Hubräumen, aber legendärer Laufruhe: Lancia polierte sich auf Luxus. Doch ab den 1960er-Jahren harzte es finanziell. Die Übernahme durch den Fiat-Konzern im Jahr 1969 zum symbolischen Preis, aber mit einem Schuldenberg, war die Rettung

Unter Fiat-CEO Sergio Marchionne (1952–2018) rutschte Lancia in die Bedeutungslosigkeit: 2006 wurde zum 100. Geburtstag ein neuer Delta enthüllt, dessen Serienversion aber mehrheitlich floppte. Dann fusionierte Fiat mit Chrysler zu Fiat Chrysler Automobiles FCA – und schon war kein Geld mehr da für neue Modelle, weil andere Löcher gestopft werden mussten. Ab 2011 wurden schliesslich US-Modelle von Chrysler mit Lancia-Logo bei uns verkauft – das killte das Markenimage endgültig. Seit 2017 gibts die einstige Edelmarke nur noch in Italien mit einem einzigen Modell – dem 2011 lancierten Ypsilon, der dort immerhin noch bis zur Einstellung Anfang 2024 ein Kleinwagen-Bestseller war. Mit der Fusion von FAC und PSA gehört Lancia heute zum Stellantis-Konzern.

1906 gegründet, fuhr der italienische Autobauer Lancia lange Zeit technisch der Konkurrenz davon. Erste selbsttragende Karosserie ohne schweren Rahmen, pfiffige V-Motoren mit kleinen Hubräumen, aber legendärer Laufruhe: Lancia polierte sich auf Luxus. Doch ab den 1960er-Jahren harzte es finanziell. Die Übernahme durch den Fiat-Konzern im Jahr 1969 zum symbolischen Preis, aber mit einem Schuldenberg, war die Rettung

Unter Fiat-CEO Sergio Marchionne (1952–2018) rutschte Lancia in die Bedeutungslosigkeit: 2006 wurde zum 100. Geburtstag ein neuer Delta enthüllt, dessen Serienversion aber mehrheitlich floppte. Dann fusionierte Fiat mit Chrysler zu Fiat Chrysler Automobiles FCA – und schon war kein Geld mehr da für neue Modelle, weil andere Löcher gestopft werden mussten. Ab 2011 wurden schliesslich US-Modelle von Chrysler mit Lancia-Logo bei uns verkauft – das killte das Markenimage endgültig. Seit 2017 gibts die einstige Edelmarke nur noch in Italien mit einem einzigen Modell – dem 2011 lancierten Ypsilon, der dort immerhin noch bis zur Einstellung Anfang 2024 ein Kleinwagen-Bestseller war. Mit der Fusion von FAC und PSA gehört Lancia heute zum Stellantis-Konzern.

Mit dem neuen Ypsilon gehts los

Umso überraschender, dass Stellantis die Marke nun auf edel polieren will. Seit 2021 ist sie eine von global 14 im neu geschaffenen Konzern. Und obwohl es genug Baustellen von Rentabilität über Qualität bis Elektrifizierung gab, liess Konzern-CEO Carlos Tavares (65) Napolitano gleich nach dem Zusammenschluss an einem Konzept für Lancia feilen. Keine leichte Aufgabe: Mit Alfa Romeo, DS und teils auch Maserati drängeln drei weitere Schwestern ins Edelsegment. Zumindest zu Alfa zieht Napolitano eine Grenze: «Lancia steht für Eleganz, nicht für Sportlichkeit.» Sein Lieblings-Lancia? Natürlich der Aurelia B24 Spider.

Sportlich dürfte der Neustart dennoch werden. Der neue kleine Ypsilon steht auf der üblichen Stellantis-Elektroplattform, leistet 156 PS (115 kW), bietet 51 Kilowattstunden (kWh) nutzbare Batteriekapazität für 400 Kilometer und wird nur 100 kW Ladeleistung am Schnelllader vertragen. Mit Blick auf den Heimmarkt traut sich Napolitano noch nicht, auf einen Verbrenner zu verzichten – das würde 80 bis 90 Prozent der Lancia-Kundschaft vertreiben, ist er sich sicher. Deshalb kommt für harzende Elektromärkte auch eine Hybrid-Version mit 100 PS (74 kW) und zusätzlichem 48-Volt-E-Motor. Im nächsten Jahr folgt eine Sportvariante als Y HF mit den 240 Elektro-PS (174 kW) aus dem Abarth 600e.

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Lancia Lamba (1922–1931): Das erste Auto mit selbsttragender Karosserie ohne Leiterrahmen – und damit die Blaupause aller modernen PWs.
Foto: Zvg

Profitabel dank höherer Marge?

Für die Technik greifen die Lancia-Ingenieure also ins Konzernregal, aber das Händlernetz muss neu aufgebaut werden. In Italien gibt es – Ypsilon sei dank – noch Garagisten. Aber in geplant 70 europäischen Städten muss Napolitano neue Betriebe aufbauen. Online-Verkäufe? Napolitano rechnet mit lediglich 15 Prozent.

Tavares lässt ihm zehn Jahre für die Reanimation, obwohl einiges an Investitionen nötig sein wird. Tavares Rechnung: Die Modelle der Massenmarken können nur mit Kostendisziplin profitabel sein. Aber bei einer sogenannten Premiummarke kann man mit grossen Autos höhere Preise verlangen und mehr Marge machen – auch dank des Images. Aber daran wird Lancia noch arbeiten müssen. Zum Beispiel mit dem künftig grünsten Image im Konzern dank dem höchsten Anteil an Recycling-Material. Bei der Qualität nimmt Napolitano gar Mercedes als Massstab.

Drei neue Modelle innert vier Jahren

Hat Lancia eine Chance? Kunden von früher dürften skeptisch auf die Antriebsstrategie schauen – schon 2028 solls nur noch Stromer im Programm geben. Und Kunden von morgen interessieren weder Historie noch das Image von einst. Die zwei Modelle, die auf den Ypsilon in den nächsten vier Jahren folgen sollen, müssen eigenständiger sein und auf den neuen Elektroplattformen von Stellantis basieren. Und idealerweise auf 800-Volt-Technologie, um sich mehr zu differenzieren als der Ypsilon, dessen Technik sich auch unter Citroën- oder Fiat-Stromern findet. Bei den Namen bleibt bei griechischen Buchstaben: Gamma soll die für 2026 geplante, 4,70 Meter lange Schräghecklimousine heissen, die betont luxuriös ausgestattet auch als Allradler kommen wird. «50 Prozent der Kunden werden aus Italien kommen; die andere Hälfte soll in anderen Nationen verkauft werden», erwartet Napolitano. Zwei Jahre später rollt dann der noch grössere Lancia Delta an – wohl als SUV.

Los gehts mit dem neuen Lancia Ypsilon im Frühsommer im Heimatmarkt Italien; danach folgen Belgien, die Niederlande, Spanien und Frankreich. Ein Jahr später startet dann Deutschland. Und in der Schweiz? Da schweigt sich Napolitano noch aus. Dabei gilt sie doch als der Premiummarkt in Europa.


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