Giorgio «Giorgetto» Giugiaro ist mit 84 Jahren nicht mehr der Jüngste. Vor allem hat er ein Alter erreicht, in dem andere längst nicht mehr arbeiten. Doch der italienische Designer ist umtriebig wie eh und je. Und was für Automobile er nicht schon in der Vergangenheit entworfen hat: Nachdem er 1968 sein eigenes Stylingbüro Italdesign gegründet hatte, stand die Automobilwelt Schlange, um von ihm Entwürfe zu bekommen.
Dabei waren es längst nicht nur die italienischen Marken wie Alfa Romeo (Alfasud, 156, Brera), Fiat (Panda, Uno, Croma) oder Lancia (Delta, Thema), sondern gerade auch deutsche Hersteller: BMW liess hier den M1 gestalten, Audi den 80 und für VW war Giugiaro in den 1970ern so etwas wie der Hoflieferant: Golf, Passat und Scirocco sind beispielsweise Schöpfungen des aus einer Künstlerfamilie stammenden Italieners. Über 100 Serienautos gehen auf sein Konto – damit ist und war Giugiaro einer der einflussreichsten Autodesigner der 1970er- und 1980er-Jahre.
Keilform als Markenzeichen
Zur Legende machten ihn aber Kreationen für Kleinserienhersteller. Zum Beispiel der atemberaubende Maserati Ghibli von 1966, der superflache Lotus Esprit oder der DeLorean DMC, der automobile Superstar aus dem Film «Zurück in die Zukunft». Keilform war Trumpf bei Giugiaro.
Trotz seines grossen Renommees scheute sich Giugiaro nie, seine Expertise mit anderen zu teilen. In der Branche gilt er bis heute als umgänglich, kreativ und offen für Kritik. Genauso wenig scheute er sich auch, für wenig bekannte Firmen, selbst aus Asien, zu arbeiten und Butter-und-Brot-Autos zu designen.
Neues Studio mit dem Sohn
Nachdem er sein Designbüro vor gut zehn Jahren an den VW-Konzern veräussert hatte, dann aber aufgrund von Meinungsverschiedenheiten und teutonischen Denkweisen wieder ausgestiegen war, betreibt er heute wieder sein eigenes Kreativbüro. GFG heisst es, weil mit Sohn Fabrizio (57) die nächste Generation mit an Bord ist. Zu den Kunden zählen vor allem chinesische Unternehmen, die daheim vom Glanz des italienischen Designs profitieren wollen.
Hier die zehn legendärsten Giugiaro-Entwürfe.
Maserati Ghibli (1966)
Noch bevor er sein eigenes Designstudio gründete, schuf Giugiaro mit dem ersten Maserati Ghibli sein für ihn bis heute schönstes Auto. In nur drei Monaten stellte er den Entwurf des Zweisitzers mit einem 4,7-Liter-V8 fertig. In acht Jahren wurden lediglich 1250 Stück gebaut – davon rund zehn Prozent als offene Spider.
Maserati Boomerang (1971)
Bloss ein Concept-Car – aber was für eins: Erst 1968 gegründet, galt Giugiaros Designbüro noch als Start-up, als es schon Aufträge von Maserati einheimste. Mit dem Boomerang trieb er am Turiner Autosalon seine Philosophie auf die Spitze: Nur 1,07 Meter hoch, war der Keil mit den gläsernen Türen das flachste Coupé aller Zeiten. Einen V8 mit 4,7 Litern Hubraum und 314 PS (231 kW) gabs erst ein Jahr später, als er am Genfer Autosalon gezeigt wurde.
VW Golf (1974)
Muss man ihn noch vorstellen? Vor 49 Jahren erschien der erste VW Golf, avancierte zum Bestseller über Jahrzehnte und gilt noch heute als der typische Volkswagen mit über 35 Millionen gebauten Exemplaren. Die Grundlage für den Nachfolger des Käfers war Frontantriebstechnik von der gerade frisch übernommenen Tochter Audi. Der Rest ist Legende, vor allem im Fall des 110 PS (81 kW) starken Volkssportlers Golf GTI (Bild).
VW Scirocco (1974)
Der Golf galt ihm als schön und gut. Aber Giugiaro wollte auf gleicher Technikbasis auch ein Sportcoupé – damals eigentlich unvorstellbar für den schwerfälligen VW-Konzern, den sein Festhalten am altbackenen Käfer beinahe die Existenz gekostet hatte. Aber im Reformtaumel liess sich der VW-Vorstand darauf ein. Bis 1981 wurde der kantige erste Scirocco mit Motoren zwischen 50 (37 kW) und 110 PS (81 kW) gebaut.
Lotus Esprit (1976)
Das Getriebe steuerte die Maserati-Mutter Citroën bei. Aber sonst war am Esprit alles bei Lotus konstruiert – in Leichtbau dank Gitterrohrrahmen. Allerdings war die erste Generation des kantigen Keils mit 150 PS/110 kW alles andere als ein Supersportler. Die vom Werk angegebenen Fahrleistungen waren reine Fantasiewerte. Die Produzenten des James-Bond-Streifens «Der Spion, der mich liebte» von 1977 störte das nicht – sie liessen 007 mit dem Esprit auf Tauchfahrt gehen.
BMW M1 (1978)
Dieser Keil stand am Anfang der heutigen BMW-Sportabteilung namens M GmbH. Denn die wurde als Motorsport GmbH extra für Produktion und Vertrieb des auch fahrdynamisch grossartigen M1 mit 3,5-Liter-Sechszylinder und 277 PS (204 kW) gegründet. Giugiaro zeigte für einmal auch Zurückhaltung und strich für die Serienversion die Flügeltüren des Concept-Cars.
Audi 80 (1978)
Stardesigner können auch Langeweile: Damals war Audi weit weg vom Edel-Anspruch von heute und eher die Bieder-Marke für Männer mit Hut. Trotzdem brachte die dritte Generation des Audi 80 die Marke vor allem technisch über das Niveau der Mitbewerber in der Mittelklasse – sogar den Allradantrieb Quattro konnte man ab 1982 bestellen.
Fiat Panda (1980)
Stardesigner können auch Alltagsautos: Weniger ein Keil, sondern eher wie mit der Kreissäge gestaltet, wirkte die erste Generation des Fiat-Billigheimers, der mit solider Technik, spartanischem Interieur, an dem nichts kaputtgehen konnte, und sogar Allrad bis heute seine Fangemeinde hat.
DeLorean DMC-12 (1981)
Der machte weniger als Auto, denn als Filmstar Kariere: Per Flux-Kompensator wurde der DeLorean DMC-12 zur Zeitmaschine im Blockbuster «Zurück in die Zukunft» von 1984. Sonst war seine Geschichte eher tragisch. Bei Lotus entwickelt, krankte der coole Keil an seiner mässigen Leistung von 132 PS (97 kW), unterirdischer Qualität und dem Grössenwahn seines Erfinders John DeLorean (1925–2005), der sogar mit Drogendeals versuchte, seine marode Firma zu retten. Zuletzt gabs gar einen Wiederbelebungsversuch.
Hyundai Pony (2023)
In diesem Jahr feierte Giugiaro einen 50 Jahre alten Entwurf mit einem originalgetreuen Remake: Weils das Original nicht mehr gibt, lieferte er kürzlich passend zum Klassiker-Event an der Villa d'Este erneut ein Concept-Car für Hyundai: Der Pony mit aktuellem Baujahr gleicht seinem Pendant von einst bis ins Detail. Im Jahr 1973 sollte er für Hyundai einen modernen Sportwagen mit gut vier Metern Länge und einem 82 PS/60 kW starken 1,3-l-Vierzylindermotor entwerfen.
Knapp ein Jahr nach Vertragsunterzeichnung debütierte das produktionsreife Fahrzeug 1974 auf dem Turiner Autosalon. Bloss wurde nichts aus der Serienfertigung. Hyundai, damals praktisch ausschliesslich auf dem heimischen Markt präsent, brauchte volksnahe Autos für Korea und keine coolen Keile von Giugiaro. Schwierig am Remake nach 50 Jahren: Mit heutigen Fertigungsmethoden wäre das Auto viel präziser geworden als sein Vorbild – deshalb entstand auch der Hyundai Pony Baujahr 2023 aus von Hand bearbeitetem Blech.