Die USA wollen uns nicht mehr verteidigen – was jetzt?
«Trump'sche Härte könnte genau das sein, was Europa braucht»

Schon in seiner ersten Amtszeit drängte Donald Trump die europäischen Nato-Länder dazu, mehr in ihre Verteidigung zu investieren. Nun scheint klar: Europa wird bei der Sicherheit der Ukraine noch länger eine wichtige Rolle spielen. Was das für Europa bedeuten wird.
Publiziert: 20:22 Uhr
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Aktualisiert: 21:34 Uhr
«Vielleicht braucht Europa Trump», schreibt Aussenpolitik-Experte Walter Russell Mead in einem Beitrag im «Wall Street Journal».
Foto: Getty Images
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Daniel JungRedaktor News

Gross war der Aufschrei, als sich Donald Trump (78) im Februar an einer Wahlkampfveranstaltung in South Carolina in Rage redete. «Nein, ich würde euch nicht beschützen», sagte er an jene Nato-Länder gerichtet, die zu wenig in die eigene Verteidigung investierten. Und: «Tatsächlich würde ich die Russen ermutigen, zu tun, was immer zur Hölle sie tun wollen. Ihr müsst bezahlen. Ihr müsst eure Rechnungen bezahlen.»

Trumps Worte waren brutal, die Empörung gross. Doch inzwischen zweifelt auch in Europa kaum noch ein Sicherheitspolitiker daran, dass der alte Kontinent bald fähig sein muss, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. Die Folgen für Europa und die Schweiz könnten massiv sein.

«Andere Sorgen als sinnlose Aufrüstung»

Schon in seiner ersten Amtszeit forderte Trump die europäischen Verbündeten immer wieder dazu auf, mehr in die Verteidigung zu investieren. Im Mai 2018 kritisierte er den Nato-Partner Deutschland: Das Land kaufe von Russland für Milliarden Erdgas, gebe aber nicht genug für seine Streitkräfte aus. Deutschland profitiere viel mehr von der Nato, als es zur Allianz beitrage.

Dazu sagte der damalige SPD-Vizechef Ralf Stegner (65): «Wir haben in Deutschland andere Sorgen als sinnlose Aufrüstung.»

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An einer Wahlkampfveranstaltung in South Carolina hatte Donald Trump im Februar mit folgender Aussage provoziert: «Ich würde die Russen ermutigen, zu tun, was immer zur Hölle sie tun wollen.»
Foto: imago/UPI Photo

Seit 2014 haben die Nato-Länder vereinbart, dass jedes Land 2 Prozent des BIP für Verteidigung aufwenden soll. Deutschland lag 2019 bei 1,38 Prozent. «Deutschland schuldet der Nato Abermilliarden an Dollar», sagte Trump im Juli 2020. Er drohte gleichzeitig mit einem Abzug von in Deutschland stationierten US-Soldaten. 

Als Trump im November 2020 die Wahl verlor, ging der Druck auf die europäischen Verbündeten zunächst zurück. Das änderte sich schlagartig, als Wladimir Putin (72) im Februar 2022 seinen Angriffskrieg auf die Ukraine startete. 

Der «Zeitenwende»-Rede folgten Taten

In Deutschland rief Bundeskanzler Olaf Scholz (66) die «Zeitenwende» aus: Die Lage in Europa erfordere Verteidigungsfähigkeit und wirksame Abschreckung. Seither erhöhten verschiedene europäische Nato-Staaten ihre Armeeausgaben markant. Deutschland steigerte die Ausgaben auf erwartete 2,12 Prozent für das laufende Jahr. 

Ob das reicht? Europa dürfte bei der Sicherheit der Ukraine noch länger eine wichtige Rolle spielen: Sollte der Krieg andauern und sich die USA wie angekündigt eher zurückziehen, müssten die europäischen Staaten in die Bresche springen. Aber auch falls es Trump tatsächlich gelingt, einen Frieden zu vermitteln, müsste die Sicherheit der Ukraine militärisch garantiert werden – möglicherweise über viele Jahre und von europäischen Kräften. Ansonsten könnte das Land zu einem Herd neuer Konflikte werden.

Vorbild Polen?

Zudem wird Europa in die eigene Verteidigung investieren müssen, um gerade Russland langfristig abzuschrecken. Hier zeigt Polen, das an Russland und die Ukraine grenzt, was das heissen könnte: Das Land hat die Verteidigungsausgaben in den letzten drei Jahren auf 4,12 Prozent des BIP angehoben. 

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Die neutrale Schweiz, die kein Nato-Mitglied ist, liegt derzeit weit unter 2 Prozent. Das Parlament visiert bis 2030 eine Aufstockung auf 1 Prozent an.

Aus globaler Sicht gilt Westeuropa weiterhin als militärisch schwach. Im «Wall Street Journal» schrieb Aussenpolitik-Experte Walter Russell Mead kürzlich einen viel beachteten Beitrag mit dem Titel «Vielleicht braucht Europa Trump». Die Schwäche Europas sei ein wesentlicher Faktor der sich entwickelnden weltweiten Krise.

Daran seien zwar primär Europas Entscheidungsträger schuld, aber auch die Amerikaner müssten über die Bücher: «Ist die Nachlässigkeit der Sicherheitspolitik der meisten Länder eine Folge der amerikanischen Sicherheitsgarantie, die ihnen harte Entscheidungen erspart hat? Haben wir uns zu sehr wie Helikopter-Eltern verhalten?» Zu oft hätten die USA den Europäern die Kohlen aus dem Feuer geholt, etwa 1999 im Kosovo. Mead schliesst mit den Worten: «Etwas Trump'sche Härte könnte genau das sein, was Europa braucht.»

Pistorius: «Zwei Prozent werden nicht reichen»

Klar ist: Die Stimmung in Europa hat sich gekehrt. Während SPD-Aussenminister Heiko Maas (58) 2018 vor der Uno noch den Kopf schüttelte, als Trump Deutschland kritisierte, scheint SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius (64) die Bedrohungen nun ernst zu nehmen.

An einer Veranstaltung der «Süddeutschen Zeitung» sagte er kürzlich, Trump konfrontiere die Europäer mit «sehr, sehr unbequemen Fragen, mit denen sich viele in unserem Land nicht gerne beschäftigen wollen – so lange haben wir einfach nur an unsere Sicherheit geglaubt, anstatt in sie zu investieren». Für Pistorius ist klar, dass die Verteidigungsausgaben weiter steigen müssen: «Die zwei Prozent werden nicht reichen.» Das ist nicht erfreulich, aber wohl realistisch.

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