Seit über zwei Jahren tobt in der Ukraine der russische Angriffskrieg – mit massiven Folgen für Europa. Die sicherheitspolitische Lage hat sich deutlich verschlechtert, die Armeen rüsten auf, und die bisher neutralen Staaten Schweden und Finnland haben sich unter die Fittiche der Nato begeben.
Ein Schritt, den auch die Schweiz machen sollte. Zumindest, wenn es nach dem einstigen Trump-Berater John Bolton (75) geht. «Die Schweiz sollte der Nato beitreten», sagt der republikanische Spitzendiplomat im Blick-Interview. «Die Neutralität hat angesichts der neuen geopolitischen Lage keine Zukunft.» Auch Schweden und Finnland hätten erkannt, dass sie nur hinter der Nato-Grenze sicher seien.
Mittlerweile zählt das Verteidigungsbündnis 32 Mitgliedstaaten. Der Einsatz für Frieden und Freiheit ist heute das wichtigste Ziel der Nato. Im Grunde wäre die Schweiz die ideale Kandidatin, da sie die Beitrittsvoraussetzungen bereits erfüllt. Dazu gehört, dass die Demokratie funktioniert und Marktwirtschaft gilt. Ebenso, dass das Land Minderheiten schützt und sich für die friedliche Lösung von Konflikten einsetzt.
Armeebudget auf zwei Prozent
Das Militär muss zudem einer zivilen und demokratischen Aufsicht unterliegen. Und: Das Land muss bereit sein, einen militärischen Beitrag zu Nato-Operationen zu leisten. Etwas, was die Schweiz im Rahmen des Nato-Programms «Partnerschaft für den Frieden» bereits seit 1996 praktiziert. Sie wäre damit für einen Nato-Beitritt parat.
Eine Mitgliedschaft hätte aber Konsequenzen: Für die heutige Neutralität würde es das Aus bedeuten – und so könnte die Ukraine direkt oder indirekt mit Schweizer Waffen beliefert werden. Zudem müsste die Armee noch schneller als bisher geplant aufgerüstet werden. Statt eines Prozents des Bruttoinlandprodukts bis 2030, wie es das Parlament möchte, gilt in der Nato eine Zielsetzung von mindestens zwei Prozent. Die Schweiz müsste also anstatt der anvisierten acht bis neun Milliarden Franken jährlich doppelt so viel aufwerfen.
Nato-Annäherung statt Beitritt
Noch ist unklar, welche Nato-Politik der neue US-Präsident Donald Trump verfolgen wird und wie sich dies auf die Sicherheitslage auch der Schweiz auswirken könnte. Trotzdem wäre Boltons Vorschlag derzeit chancenlos. Gemäss der neusten Sicherheitsstudie 2024 der ETH Zürich sprechen sich nur 30 Prozent der Bevölkerung für eine Nato-Mitgliedschaft aus. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass die Bedrohungslage – im Gegensatz zu derjenigen der an Russland grenzenden Staaten Schweden und Finnland – eine ganz andere ist.
Auf knappe Zustimmung stösst mit 52 Prozent aber eine weitere Annäherung an die Nato, wie beispielsweise eine vertiefte Kooperation im technischen Bereich. 50 Prozent befürworten auch operative Kooperationsformen – also unter direkter Beteiligung der Truppe. Knapp zwei Drittel befürworten auch die von Verteidigungsministerin Viola Amherd (62) angestrebte Teilnahme am europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield. Klar ist aber auch: 91 Prozent wollen an der Neutralität festhalten.
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Ähnlich ist der Tenor in Bundesbern: Man ist bereit, enger mit der Nato zusammenzuarbeiten, ohne dem Militärbündnis gleich beizutreten. «Wir sind ein neutrales Land», sagt GLP-Sicherheitspolitiker Patrick Hässig (45, ZH) zu Blick. Einen Beitritt würde er zwar nicht anstreben, er wünsche sich aber eine stärkere Kooperation. «Sprich, wir brauchen zum Beispiel Nato-kompatible Waffensysteme sowie vermehrt gemeinsame Übungen», so Hässig. «In der aktuell unsicheren Weltlage ist eine enge Zusammenarbeit mit Nationen, welche unsere Werte teilen, wichtig.»
SVP will strikte Neutralität
Widerstand markiert hingegen die SVP. Ihr geht bereits die heutige Zusammenarbeit der Schweiz mit der Nato zu weit – stattdessen möchte sie mit einer Volksinitiative eine umfassende Neutralität in der Verfassung verankern. «Die Schweiz hat eine Verteidigungsarmee, die darauf ausgelegt ist, unsere Unabhängigkeit zu wahren», macht SVP-Nationalrat David Zuberbühler (45, AR) deutlich.
Für ihn hat die Neutralität Priorität. «Ein Nato-Beitritt beziehungsweise schon eine kleine Annäherung würde die komplette Abkehr vom Neutralitätsprinzip bedeuten und die dauernde Neutralität damit direkt infrage stellen», so Zuberbühler. «Für unser Land wäre das verheerend, weil andere Staaten uns nicht mehr als dauernd neutral ansehen würden. Auch unsere Bedeutung als neutrale Vermittlerin wäre hinfällig.»