Der Ukraine-Krieg bringt auch die Schweiz in die Bredouille. Weil sie es mehreren Staaten verbot, Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion an Kiew weiterzugeben, hat sie sich bei den westlichen Staaten keine Freunde gemacht. Ein Stresstest für die Schweizer Neutralität.
Und nun wollen rechtsbürgerliche Kreise um SVP-Doyen Christoph Blocher (83) und alt Nationalrat Walter Wobmann (66) den Spielraum nochmals einschränken. Ihre Neutralitäts-Initiative will die «immerwährende und bewaffnete Neutralität» fest in der Verfassung verankern. Eine Zusammenarbeit etwa mit der Nato wäre nur bei einem militärischen Angriff auf die Schweiz erlaubt.
Auch «nichtmilitärische Zwangsmassnahmen» gegen kriegführende Staaten wie die Russland-Sanktionen würden untersagt, sofern sie nicht von der Uno beschlossen wurden.
Der Bundesrat wischte die Initiative vor den Sommerferien vom Tisch und empfiehlt sie ohne Gegenvorschlag zu Ablehnung. Die bisherige Neutralitätspraxis habe sich bewährt und biete «eine gewisse Flexibilität», wodurch sie optimal als Instrument zur Wahrung der nationalen Interessen anzuwenden sei.
Gegenvorschlag formuliert
Unumstritten war das Vorgehen aber nicht, wie Dokumente zur verwaltungsinternen Ämterkonsultation zeigen, die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat. Darin werden verschiedenen Optionen beschrieben – auch die eines direkten Gegenvorschlags.
Das federführende Aussendepartement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis (63) hat sogar einen konkreten Vorschlag erarbeitet: Die Forderung der Initianten nach immerwährender, bewaffneter Neutralität wurde darin übernommen. Ebenso der Verzicht auf den Beitritt zu einem Militärbündnis und eine begrenzte Zusammenarbeit.
Sanktionsbeschränkungen dagegen wären gestrichen worden. Doch immerhin: Ein Gegenvorschlag hätte die Chancen der Initianten zumindest auf einen Teilsieg deutlich erhöht.
Parmelin wollte Gegenvorschlag
Die vorherrschende Meinung im EDA war klar: Die Initiative gehört ohne Gegenvorschlag gebodigt.
Für einen Gegenvorschlag machte sich hingegen SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin (64) stark: «Wir unterstützen das Anliegen der Initiative, die Schweizer Neutralität stärker in der Verfassung zu verankern.» Der Gegenvorschlag sei «sinnvoll und ausgewogen». Damit könne sich die Bevölkerung klar zur Neutralität bekennen, ohne die weitergehende Initiative annehmen zu müssen.
Das Staatssekretariat für Sicherheitspolitik im Verteidigungsdepartement von Mitte-Bundesrätin Viola Amherd (62) hingegen warnte, dass der Gegenvorschlag «eine klare Kursänderung und starke Einschränkung der Kooperationsmöglichkeiten bedeutet».
Letztlich setzte sich Cassis im Bundesrat mit der Ansicht durch, dass sich die bisherige Neutralitätspolitik bewährt habe und der Spielraum nicht eingeschränkt werden sollte.
SVP-Aeschi überrascht und erfreut
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (45) zeigt sich gegenüber Blick überrascht von der verwaltungsinternen Diskussion über einen Gegenvorschlag. Und erfreut: «Es zeigt, wie wichtig einer Klärung der Neutralitätsfrage auf Verfassungsstufe ist.» Er zeigt sich offen, im Parlament einen Gegenvorschlag zu diskutieren.
Zuerst muss Cassis aber seine Botschaft vorlegen. Das soll bis Ende Jahr der Fall sein.