Auf einen Blick
Syriens Machthaber Bashar al-Assad (59) ist gestürzt. Und im Westen trauert man dem Schlächter keine Träne nach. Mehr noch: In den sozialen Medien jubeln die Menschen, dass der Mann, der Giftgas auf das eigene Volk warf, endlich zum Teufel gejagt wurde. Putin hat einen Verbündeten weniger, auch der Iran ist geschwächt. Klingt positiv.
Nur: Der Jubel kommt vielleicht zu voreilig. Denn was nach Assad kommt, muss nicht unbedingt besser sein. Im Gegenteil!
Syrien wurde seit Jahrzehnten von der Assad-Familie beherrscht, Assads Vater Hafis wurde 1970 zum faktischen Alleinherrscher. Bashar übernahm die Macht im Jahr 2000.
Ein Schlächter weniger
Dass die Diktatur Assads nun endet, ist zunächst eine gute Nachricht. Denn Assad ging für seinen Machterhalt über Leichen. Er liess in seinen Gefängnissen gnadenlos foltern, setzte Giftgas gegen die eigene Bevölkerung ein, bombardierte Städte im eigenen Land und holte die Russen, um die Millionenstadt Aleppo dem Erdboden gleichzumachen.
Gemäss der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden im Krieg seit 2011 rund 620’000 Menschen getötet. Davor lebten in Syrien rund 21 Millionen Menschen. Bis Juni 2023 hatte das Uno-Flüchtlingshilfswerk weltweit rund 5,3 Millionen Auslandsflüchtlinge registriert.
An der Macht halten konnte sich Assad nur dadurch, dass er neben den Russen auch auf den Iran, die libanesische Hisbollah und anderen Iran-treue Milizen setzte.
Bittere Niederlage für Putin
Es ist aus westlicher Sicht positiv zu sehen, dass Putins Militärmacht beschränkt ist. «Der drohende Verlust seiner militärischen Position am östlichen Mittelmeerrand ist für das Putin-Regime eine bittere Niederlage, ein enormer Imageschaden», erklärt Nahost-Experte Reinhard Schulze.
Auch eine Schwächung des Irans und seiner Verbündeten ist zu begrüssen, denn der Iran hat in den letzten Jahrzehnten im Nahen Osten enorm viel Unruhe gestiftet und Terrorismus unterstützt. Nach der Dezimierung der Hisbollah durch Israel verliert Iran jetzt den zweiten Baustein seiner «Achse des islamischen Widerstands». Islamwissenschaftler Schulze sagt: «Irans Politik im Nahen Osten droht zu scheitern.»
Droht ein neues Libyen, ein zweites Afghanistan?
Trotzdem stellt sich die Frage, wie es in Syrien weitergeht. Der Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011 in Libyen führte nicht zu Stabilität, sondern mündete in einen neuen Bürgerkrieg. Nach dem chaotischen Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan 2021 übernahmen die Taliban die Macht – und die hat gerade Frauen alle Ausbildungen im medizinischen Bereich verboten.
Es kommt darauf an, was die Rebellen in Syrien jetzt tun. Die Islamisten sprechen derzeit von religiöser Vielfalt und Toleranz. Gemäss Reinhard Schulze repräsentiert die siegreiche Opposition einen «ziemlich bunten Strauss politischer, religiöser, kommunaler und sozialer Orientierungen», der nun eine neue Ordnung schaffen muss.
Der neue Chef gibt sich gemässigt
Rebellenchef Abu Mohammed al-Dschulani (42) gibt sich gemässigt. «Ob dies auch eine Entideologisierung bedeutet, wird sich zeigen», sagt Schulze. Al-Dschulani verleugnet seine frühere Zugehörigkeit zur Al Kaida nicht, spricht aber heute von «Jugendsünden» und will international Anerkennung gewinnen.
Entscheidend wird etwa der Umgang mit den Kurden, die grössere Gebiete im Nordosten kontrollieren. Experte Schulze erwartet nicht, dass die siegreichen Rebellen hier bald Frieden schliessen. Die Türkei, ihr Hauptunterstützer, möchte eine autonome kurdische Region vor ihrer Haustür auf jeden Fall verhindern.
Stattdessen möchte die Türkei in Nordsyrien Geld verdienen, ihr imperiales Prestige stärken und die Millionen syrischer Flüchtlinge wieder loswerden. Ein islamistisches Syrien unter türkischem Schutz könnte ein sehr gefährlicherer Nachbar werden, gerade für Israel.
Heimkehr noch ungewiss
Klar ist: Der Umbruch in Syrien wird die politische Landschaft im Nahen Osten umpflügen. Für die syrischen Geflüchteten in der Schweiz, in Deutschland und Europa bietet das Ende Assads nun Hoffnung auf eine Rückkehr ins Heimatland.
Jedoch müssen auch sie noch bangen, ob sich die Lage hin zu Stabilität entwickelt. Reinhard Schulze: «Viele werden erst einmal Kontakte erneuern, Familienbeziehungen wieder aktualisieren und ihre Leute, die aus den Gefängnissen befreit wurden, kontaktieren und unterstützen.»
Sicher scheint in Syrien momentan also nur eines: Es kommen unsichere Zeiten auf das Land zu.