Die Rebellen in Syrien haben eigenen Angaben zufolge die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen und damit das Ende der mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Herrschaft von Machthaber Baschar al-Assad (59) eingeläutet. Das Rebellenbündnis kündigte an, die Macht friedlich übernehmen zu wollen.
Wie kam es so weit?
Der syrische Bürgerkrieg begann 2011. Am 27. November war er mit der Offensive der Islamisten-Allianz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) plötzlich wieder aufgeflammt. Innerhalb kurzer Zeit übernahmen die Aufständischen die Kontrolle über viele Orte im Nordwesten des Landes, darunter Aleppo und Hama, weitgehend kampflos. Am Samstag hatten die Rebellen die strategisch wichtige Stadt Homs eingenommen. Verschiedene andere Rebellengruppen rückten zugleich von Süden aus Richtung Damaskus vor. In der Nacht auf Sonntag übernahmen die Rebellen die Kontrolle der Hauptstadt. Augenzeugen berichten, dass Anwohner auf der Strasse klatschten. Andere waren beim Gebet zu beobachten.
Was sagen die Rebellen?
«Der Tyrann Baschar al-Assad ist geflohen», teilten die Aufständischen in sozialen Medien mit. «Wir verkünden, dass die Hauptstadt Damaskus (von ihm) befreit wurde.» Der 8. Dezember markiere «das Ende dieser dunklen Ära» der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafis al-Assad, die das Land mehr als 50 Jahren regierten.
Wo ist Assad?
Das ist derzeit unklar. Assad floh per Flugzeug aus Damaskus. Zwei syrische Quellen berichten laut der Nachrichtenagentur Reuters, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass Assad bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. Daten von Flightradar sollen demnach zeigen, dass sein Flugzeug plötzlich gewendet habe und dann von der Karte verschwunden sei.
Zwei hochrangige Armeeoffiziere und eine syrische Menschenrechtsorganisation sagten, dass Assad bereits ein Flugzeug bestiegen und ein unbekanntes Ziel angesteuert hat. Gemäss «Bild» könnte Assad am frühen Samstagabend mit einem Privatjet nach Abu Dhabi geflogen sein. Einem «Bloomberg»-Bericht zufolge könnte sich Assad auch im Iran aufhalten. Ebenfalls denkbar wäre eine Flucht nach Russland.
Warum war Assad jetzt so schwach?
Das Assad-Regime war nach 13 Jahren Krieg wirtschaftlich und militärisch geschwächt. Die rasche Eroberung der Grossstädte Aleppo und Hama durch die Rebellen waren erste Anzeichen, wie verwundbar Assad war.
Die syrische Armee hat insgesamt nur noch wenig Widerstand geleistet. In der Nacht auf Sonntag teilte Armee selbst den Regierungssoldaten mit, Assads Regierungszeit sei beendet.
Zuvor hatten verschiedene Medien bereits berichtet, dass syrische Soldaten in Scharen das Land verlassen. Der katarische Nachrichtensender Al-Dschasira zitierte einen Sprecher der irakischen Regierung, wonach bereits 2000 syrische Soldaten mit voller Ausrüstung in den Irak gekommen seien.
Wie könnte es jetzt in Syrien weitergehen?
Die Rebellen, die in Damaskus einmarschiert sind, haben erklärt, sie würden mit dem bisherigen Ministerpräsidenten Mohammed al-Dschalali (55) zusammenarbeiten. Al-Dschalali selbst blieb eigener Darstellung zufolge im Land und will bei einem Machtwechsel kooperieren. Die Bürger rief er bei den laufenden Entwicklungen auf, kein öffentliches Eigentum zu beschädigen.
Die Kurdenmilizen im Nordosten Syriens sehen nach der Flucht von Assad die Chance für einen politischen Neuanfang. «Diese Veränderung bietet eine Gelegenheit, ein neues Syrien aufzubauen auf der Grundlage von Demokratie und Gerechtigkeit», erklärte der Kommandeur der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Maslum Abdi (57). Damit könnten «Rechte für alle Syrer garantiert» werden.
Wie ist der Rebellenführer einzuschätzen?
Nach den Worten des islamistischen Rebellenführers Abu Mohammed al-Dschulani (42) will das Rebellenbündnis die Macht friedlich übernehmen. Öffentliche Einrichtungen in Damaskus «werden bis zur offiziellen Übergabe unter Aufsicht des früheren Ministerpräsidenten bleiben», teilte Al-Dschulani in sozialen Medien mit. Militärischen Kräften sei es strikt verboten, sich diesen Einrichtungen zu nähern, auch Schüsse dürften nicht abgegeben werden.
Al-Dschulani erklärte gegenüber der «New York Times», sein Hauptziel sei die «Befreiung Syriens von diesem unterdrückerischen Regime». In der Öffentlichkeit haben sich amerikanische Beamte gegenüber der Rebellenorganisation HTS zurückhaltend gezeigt. Gemäss «New York Times» gibt es jedoch innerhalb der US-Regierung auch Stimmen, die eine Hinwendung der Gruppe zum Pragmatismus für glaubwürdig halten.
Was bedeutet der Sturz Assads für den Iran?
Nach der Schwächung der Hisbollah im Libanon verliert Iran nun einen weiteren Verbündeten. Iran hatte bereits am Freitag damit angefangen, seine Militärangehörigen und weiteres Personal aus Syrien zu evakuieren. Der Fall Assads wird das Kräfteverhältnis im Nahen Osten neu ordnen. Die «Achse des Widerstands», die der Iran mit Verbündeten im Libanon, den palästinensischen Gebieten, Syrien, Irak und Jemen gebildet hat, wird geschwächt. Israel und seine arabischen Verbündeten werden gestärkt.
Was bedeutet die neue Situation für Israel?
Angesichts der Übernahme der Kontrolle in Syrien durch Rebellen hat die israelische Armee Streitkräfte in die Pufferzone auf den besetzten Golanhöhen verlegt. In einer Mitteilung der Armee heisst es: «Wir betonten, dass die israelische Armee sich nicht in die internen Ereignisse in Syrien einmischt.» Das Militär werde so lange in der Pufferzone verbleiben, wie dies für die Sicherheit Israels und seiner Bürger notwendig sei. Die israelische Armee hatte 1967 im Sechstagekrieg die Golanhöhen von Syrien erobert und 1981 annektiert.
Was heisst das für die syrischen Flüchtlinge?
An die Millionen Flüchtlinge gerichtet, die durch den Bürgerkrieg vertrieben wurden, erklärten die Aufständischen: «An die Vertriebenen weltweit, ein freies Syrien erwartet euch.» In der Türkei alleine leben mehr als drei Millionen Syrer. In der Metropole Istanbul gab es Videos zufolge in der Nacht Jubel und Gesänge. Einige zündeten dort Feuerwerk.
Der Bürgerkrieg in Syrien hatte 2011 mit Protesten gegen die Regierung begonnen. Die Gewaltspirale mündete in einen Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, in dem Russland, der Iran, die Türkei und die USA eigene Interessen verfolgen. Rund 14 Millionen Menschen wurden vertrieben. Nach UN-Schätzungen kamen bisher mehr als 300'000 Zivilisten ums Leben.