Am Montagmorgen erschüttern Explosionen die Millionenmetropole Kiew auf ein Neues. Die russische Armee griff wieder die ukrainische Hauptstadt an. Laut ukrainischen Behörden kamen dabei iranische Kamikaze-Drohnen zum Einsatz. Diese Kriegswaffen bergen ein hohes Gefahrenpotenzial. Sie haben eine hohe Reichweite und kosten nur wenig. Und genau deswegen setzt Kreml-Chef Wladimir Putin (70) auf diese tödlichen Drohnen.
An der Front haben die russischen Truppen die Maschinen schon früher verwendet – mindestens seit August, wie der britische Geheimdienst berichtet. Im September seien Modelle des Typs Shahed-136 in der nordöstlichen Region Charkiw über ukrainische Stellungen hinweggeflogen. Bilder zeigten die Überreste der Kamikaze-Waffen: Die Drohnen wurden in russische Farben umlackiert und mit «Geran 2» beschriftet.
Militärexperten befürchten, dass die iranischen Waffen die Ukrainer in die Bredouille bringen könnten. Scott Crino, ehemaliger Oberstleutnant in der US-Armee, sagte gegenüber «Wallstreet Journal», dass die iranischen Shahed-136-Drohnen – im Gegensatz zur eher schwachen Drohnentechnologie Russlands – ein «starkes Gegengewicht» zu den westlichen Waffensystemen der Ukrainer bilden könne. «Der Gebrauch der Shahed-136 im Ukraine-Krieg verändert zweifellos die operativen Pläne Kiews», so Crino.
20'000 US-Dollar pro Drohne
Die Shahed-136-Drohne kann bis zu 2500 Kilometer zurücklegen. Ihre Reichweite mache die iranische Kamikaze-Drohne gefährlich, erklärt Samuel Bendett, Drohnenexperte beim US-amerikanischen Center for Naval Analysis, gegenüber «Spiegel»: Die Drohne könne Ziele im taktischen Bereich treffen, also etwa Himars-Mehrfachraketenwerfer, die im Umkreis von 70 Kilometern nahe der Front operieren. Seit Neustem sind auch die kleineren Drohnen des Typs Shahed-131 im Einsatz, wie Funde in Kiew dokumentieren. Diese verfügen über eine Reichweite von rund 900 Kilometern.
Beim erneuten Angriff auf Kiew kamen laut Innenminister Denys Monastyrskyj etwa 40 Drohnen zum Einsatz. Kein Wunder: Die fliegenden Killer soll verhältnismässig günstig sein. Zwar ist der Einkaufspreis geheim, der Militärexperte Samuel Cranny-Evans schätzt ihn aber für eine Shahed-136-Drohne auf rund 20'000 US-Dollar, wie er gegenüber der spanischen Zeitung «El Pais» sagt. Zum Vergleich: Die türkische Bayraktar-TB2-Kampfdrohne kostet um die zwei Millionen Dollar.
Der ukrainische Geheimdienst schätzt, dass der Kreml rund 2400 iranische Drohnen bestellt hat. Die iranische Regierung beteuert hingegen, keinerlei Kamikaze-Drohnen nach Russland geliefert zu haben, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Fakt ist: Die Russen haben jede Menge davon und setzen diese auch ein. Die ukrainische Flugabwehr ist zwar stark, kann aber unmöglich alle Drohnen ausschalten. «Die Russen müssen sich um die Zahlen nicht kümmern und können mit weiteren Angriffen für erhebliche Abnutzung bei den Ukrainern sorgen», sagt Drohnenexperte Bendett zum «Spiegel». Vor allem da die Luftabwehr ohnehin am Limit arbeite, sei es problematisch, weitere Ressourcen und Munition gegen die Kamikaze-Drohnen aufwenden zu müssen.
USA wollen bei Drohnenjagd helfen
Dass die Drohnen so günstig sind, hat seinen Preis. Die Ausstattung wird als rudimentär beschrieben. Die Kamera und Sensoren haben keine gute Qualität. Im Gegensatz zu anderen Drohnen fliegt das iranische Modell einfach zu den eingegebenen Koordinaten. Daher eignen sich die Kamikaze-Drohnen für Angriffe auf unbewegliche Ziele. Hinzukommt: Die Kamikaze-Drohnen gelten als leichte Ziele für Abwehrsysteme. Gemäss dem britischen Geheimdienst sei es einfach, die langsamen und tief fliegenden Drohnen mit konventioneller Luftverteidigung abzuschiessen.
Um gegen die Schwarm-Angriffe der Kamikaze-Drohnen anzukommen, wollen internationale Verbündete Hilfe leisten. Kurz nach dem Eintreffen der Shahed-Drohnen stellten die USA ihr Titan-Antidrohnen-System in Aussicht. Das System verfügt über eine künstliche Intelligenz, die Drohnen ausfindig macht und den günstigsten Lösungsansatz vorschlägt.
Damit könne man effizientere Wege zur Verteidigung wählen und auf teure Luftabwehrraketen verzichten, so die Hoffnung der Ukrainer. Besser geeignet ist etwa das Vampire-System, das ebenfalls aus den Vereinigten Staaten kommt. Mit einer Mischung aus kleineren Raketen und einem Störer soll es schon bald in der Ukraine auf Drohnenjagd gehen.
Eigene Kampfdrohne entwickelt
Die Ukraine selbst möchte aber auch Drohnen einsetzen, um die Russen anzugreifen. Die USA liefern der Ukraine gemäss Defense News bald Switchblade-600-Lenkwaffen – sie sind den iranischen Modellen in Sachen Präzision deutlich überlegen. Die Lieferung werde in den nächsten Tagen erwartet.
Damit nicht genug: Nach den verheerenden Angriffen mit iranischen Kamikaze-Drohnen am Montagmorgen hat die ukrainische Rüstungsfirma Ukroboronprom mitgeteilt, dass die Ukraine kurz vor der Fertigstellung einer eigenen Kampfdrohne stehe. Die Reichweite der Drohne betrage «rund 100 Kilometer», das Gewicht des Sprengkopfs betrage 75 Kilogramm. Derzeit sei man «kurz vor der Fertigstellung» dieser Drohne, so Ukroboronpro. Genauere Details wurden nicht genannt. (bab)