Russische Militär-Bloggerin spricht Klartext
«Einige Kommandanten sollte man auf der Stelle erschiessen»

Der Ärger über die Missstände in der russischen Armee wird nach der Verkündung der Teil-Mobilisierung immer grösser. Besonders Militär-Blogger üben scharfe Kritik – aber nicht an Putin.
Publiziert: 14.10.2022 um 12:39 Uhr
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Aktualisiert: 17.11.2022 um 15:59 Uhr
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Zahlreiche Männer in Russland werden in den Krieg eingezogen – wie auch hier in Tscheljabinsk. Genau aus dieser Region wurden bereits die ersten Todesopfer bei den Rekrutierten vermeldet.
Foto: IMAGO/SNA
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Anastasia MamonovaBlattmacherin Digital

Kaum einberufen, schon tot. Fünf russische Soldaten, die im Rahmen der Mobilisierung in den Krieg geschickt wurden, sind nach wenigen Tagen an der Front bereits ums Leben gekommen. Das haben die russischen Behörden am Donnerstag zum ersten Mal eingeräumt. Dabei handelt es sich um Männer aus der Region Tscheljabinsk.

Diese Nachricht löst bei der russischen Militär-Bloggerin Anastasia Kaschewarowa (34) Wut aus. Für sie ist klar, wer Schuld am Tod der Männer hat. «Einige der Kommandanten sollte man auf der Stelle erschiessen», schreibt sie auf Telegram.

Und wendet sich weiter an die Offiziere mit deutlichen Worten. «Ihr habt kein moralisches Recht, eure Abzeichen zu tragen.» Stattdessen sollen sie degradiert und selber als Gefreite an die Front geschickt werden. «Und derjenige, der sich auszeichnet, darf den Platz im Kommando einnehmen.»

«Die Zinksärge sind bereits eingetroffen»

Kaschewarowa, die früher als Assistentin des Duma-Vorsitzenden Wjatscheslaw Wolodin (58) tätig war, kritisiert weiter die Zustände in der Armee: «Das Resultat der Mobilisierung: Unausgebildete Jungs werden an die Front geworfen. Tscheljabinsk, Jekaterinburg, Moskau – die Zinksärge sind bereits eingetroffen.»

Die Bloggerin wirft den Kommandanten Lügen vor. «Ihr habt uns gesagt, dass es eine Ausbildung geben würde, dass sie nicht in einer Woche an die Front geschickt werden würden. Habt ihr wieder gelogen?»

Sie appelliert an die Militärs: «Findet den Mut, zuzugeben, dass es sich um Krieg handelt. Und zu sagen, dass es an allem fehlt. Sagt den Menschen die Wahrheit und dass wir Hilfe brauchen! Und nicht so, ‹Hey, geh kämpfen und stirb! Ohne Widerrede›.»

Soldaten landen in Gefangenschaft

Es herrscht offenbar ein Chaos. Männer würden überhaupt nicht ihren Qualifikationen entsprechend eingesetzt, wirft sie den Verantwortlichen vor. «Tolle Drohnen-Spezialisten werden als motorisierte Schützen entsandt», schreibt sie. Weil keine medizinischen Untersuchungen stattfänden, würden Epileptiker und Autisten eingezogen, wettert sie.

Dabei würden die Verantwortlichen nicht mal auf die Vorgesetzten in der Chef-Etage hören. «Sie haben keine Angst vor Gerasimow (Armee-Chef Waleri Gerasimow Anm. d. Red), Schoigu (Verteidigungsminister Sergei Schoigu Anm. d. Red), Putin oder der Staatsanwaltschaft – vor niemandem. Und nicht alle Vorgesetzten haben die moralische Autorität, sie zu züchtigen, weil sie selbst im Arsch sind.»

Diese schlechte Organisation führe dazu, dass die Soldaten sterben oder in der ukrainischen Gefangenschaft landen. «Natürlich ist dies nicht überall der Fall. Aber es gibt viele solcher Fälle. Die Mobilisierten sind bereits in Gefangenschaft. Sie werden einfach ins Feld geworfen. Sie verlassen also ihre Position, gehen irgendwohin und fallen dem Feind in die Hände.»

Neuer Typ von Propagandisten

Militärblogger wie Koschewarowa finden bei Tausenden Menschen Gehör. Aber auch Kriegskorrespondenten wie Alexander Kots (44) von der kremlnahen Zeitung «Komsomolskaja Prawda» gehören zu einem neuen Typ von Propagandisten. Seit dem Kriegsausbruch folgen ihnen Tausende Menschen auf Telegram, um etwas über Erlebnisse an der Front und Bewertungen der Situation zu erfahren.

Sowohl Militärblogger als auch Kriegskorrespondenten positionieren sich teilweise als radikale Kriegsbefürworter, und erlauben sich immer mehr, die Militärführung zu kritisieren. Nach der erfolgreichen Gegenoffensive der Ukrainer in Charkiw forderten viele von ihnen die Generalmobilisierung und übten Kritik an den Verantwortlichen für ihr Zögern.

Alle sind schuld, nur nicht Putin

Dabei zeigen sie sich loyal gegenüber Kreml-Chef Wladimir Putin (70) und versuchen, ihn aus der Schusslinie zu nehmen. «Warum werden die Präsidialdekrete immer wieder vom Verteidigungsministerium und dem Generalstab sabotiert?», schreibt ein anderer Blogger. Und «Russia Today»-Chefin Margarita Simonjan (42) schrieb über die Armee-Verantwortlichen kürzlich: «Sie verärgern die Leute absichtlich und aus Bosheit. Als ob sie von Kiew geschickt worden wären.»

In ihren Posts wird klar: Alle anderen sind schuld an der Lage, nur nicht der Präsident. Die öffentliche und lautstarke Kritik an der russischen Militärführung und somit auch am Verteidigungsminister kommt nicht von ungefähr. Experten des amerikanischen Institute for the Study of War (ISW) glauben, dass Schoigu als Sündenbock genutzt wird. «Putin will Schoigu die Schuld für das Scheitern der Invasion in der Ukraine in die Schuhe schieben.»

Doch ob dieser Plan für Putin selbst nicht nach hinten geht, ist fraglich. Der russische Politologe Andrej Kolesnikow (57), der für die Denkfabrik Carnegie Moscow Centre tätig war, sagt im Interview mit «BBC Russia»: «Obwohl Putin ausserhalb der Kritik steht und vielleicht alles nur zu seinem Schutz geschieht, scheint er objektiv gesehen – aufgrund des personalistischen Charakters der Regierung – auch Schuld zu tragen. Und seine Zustimmungswerte sind bereits gesunken. Vielleicht nicht so stark wie bei der Rentenreform oder der Pandemie, aber doch spürbar.»

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