Publizist Michel Friedman über die AfD und die Gefahr für Demokratie
«Die Schweiz hat sich zu lange an Herrn Blocher gewöhnt»

Michel Friedman ist nach 40 Jahren aus der CDU ausgetreten, weil seine Partei mit der AfD abgestimmt hat. Der jüdische Publizist spricht von einem Dammbruch und kritisiert Kanzlerkandidat Friedrich Merz scharf.
Publiziert: 02.02.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 02.02.2025 um 08:33 Uhr
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Rote Linie überschritten: Michel Friedman verlässt die CDU.
Foto: IMAGO/Bernd Elmenthaler

Auf einen Blick

  • Michel Friedman tritt aus CDU aus wegen AfD-Unterstützung im Bundestag
  • Friedman warnt vor Zusammenarbeit mit AfD und Gefahr für Demokratie
  • Friedman sagt, die Union habe ein unverantwortliches Theater aufgeführt
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Lino SchaerenRedaktor

Herr Friedman, Sie haben Ihren Parteiaustritt erklärt, nachdem die CDU unter Führung von Friedrich Merz im Bundestag einen Antrag dank Unterstützung der AfD durchgebracht hat. Warum?
Michel Friedman:
Weil Friedrich Merz noch vor ein paar Wochen beschworen hat: Es darf nicht sein, dass durch eine antidemokratische Partei wie die AfD die Würde des Menschen angetastet wird. Doch genau das hat Herr Merz nun fahrlässig in Kauf genommen.

Friedrich Merz und die Union haben sich selbst verraten?
Herr Merz hat eine Tür offen gelassen. Da darf er sich im Nachhinein nicht wundern, wenn sich die AfD dann auch auf den Beifahrersitz setzt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine demokratiefeindliche Partei eine Mehrheit geschaffen. Das ist ein Tabubruch, ein Dammbruch. Ob dieser «Unfall» absichtlich oder aus Versehen stattgefunden hat, ob er billigend in Kauf genommen wurde, ist völlig egal. Eine professionelle demokratische Partei, die den Kanzler stellen will, kann sich das nicht leisten.

Nüchtern betrachtet haben sich die Abgeordneten der Union im Bundestag doch einfach für ihren eigenen Antrag ausgesprochen. Wo ist das Problem?
Das kann ich Ihnen gerne erklären. Sie haben sich in der Schweiz an Herrn Blocher und seine menschenfeindlichen Initiativen einfach schon zu lange gewöhnt. Die moderne Demokratie basiert auf Menschenrechten und auf Aufklärung. Diese Grundfeste bröckelt gerade weltweit. Sie wird von rechtsextremistischen und rechtsnationalistischen Parteien untergraben, ob in Ungarn, in Holland oder in Amerika. Die AfD ist eine rassistische Partei, ihr Ehrenvorsitzender hat Hitler als einen Vogelschiss in der Geschichte bezeichnet. Eine solche Partei darf niemals Mehrheitsbeschafferin sein und dadurch noch stärker in der Mitte der Gesellschaft ankommen, sei der Antrag noch so gut. Kein Zweck heiligt dieses Mittel. Es gilt: keine Berührung mit der AfD.

Sie verteidigen die viel zitierte Brandmauer.
Das Besondere der demokratischen Parteien und die Differenzierung zu nicht demokratischen Parteien ist die Würde des Menschen, sind die Menschenrechte. Werden demokratiefeindliche Personen oder Parteien demokratisch gewählt, sind sie deswegen noch lange keine Demokraten. Wir sehen beispielsweise in Ungarn, dass diese Kräfte ihre Macht nutzen, um Pressefreiheit, Kulturfreiheit, aber auch den Rechtsstaat abzubauen. Wir sind nicht mehr naiv.

Der heftige Disput in der deutschen Politik ist nach dem Anschlag von Aschaffenburg um die Migrationspolitik entbrannt. Es sind die etablierten Parteien, zuvorderst die Union, die hier die letzten Jahrzehnte versagt haben.
Da stimme ich Ihnen zu. Alle demokratischen Parteien, die in irgendwelchen Regierungskoalitionen waren, haben gesehen, dass die Migrationspolitik nicht mit der Mehrheit der Bürger kompatibel ist. Sie haben darauf viel zu spät reagiert und damit einer antidemokratischen Partei den Sauerstoff gegeben, um zu wachsen.

Genau hier hat Friedrich Merz doch angesetzt, um der AfD Wähler streitig zu machen?
Sich einem politischen Gegner anzugleichen, um ihn zu schwächen, hat noch nie funktioniert. Wieso musste Herr Merz seine Anträge unbedingt jetzt, drei Wochen vor der Wahl, einbringen? Er hätte höchstwahrscheinlich ab dem 24. Februar in den Koalitionsverhandlungen an der geforderten Wende in der Migrationspolitik arbeiten können. Stattdessen hat er einen unverzeihlichen Fehler begangen und damit die AfD weiter gestärkt. Die Union hat ein unverantwortliches, schlechtes Theater aufgeführt.

Ist Friedrich Merz als Kanzlerkandidat noch tragbar?
Das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Der Umgang mit einem Fehler offenbart die Qualifizierung einer Person. Stand heute hat er die Wette, die er eingegangen ist, aber verloren. Trotzdem warne ich davor, nun die CDU zum Problem, zu einem Feindbild zu machen. Die Gefahr für die Demokratie bleibt die AfD.

Sie waren 40 Jahre in der CDU. Wieso sind Sie nicht parteiintern gegen Friedrich Merz aufgestanden, statt auszutreten?
Es geht um meine eigene Glaubwürdigkeit. Das ist doch keine Petitesse. Hier geht es um etwas sehr Grundsätzliches. In dem Moment, wo der Tabubruch stattgefunden hat, sind neue politische und neue kulturpolitische Zeiten angebrochen. Das ist nicht mehr umkehrbar. Ich arbeite seit einem halben Jahrhundert im Dienste der Menschenrechte, der Menschenwürde. Ich bin ein jüdischer Mensch, dessen Eltern von Deutschen umgebracht worden sind. Wenn dann meine Partei mit der AfD gemeinsame Sache macht, kann ich nicht mehr in den Spiegel schauen.

Können Sie sich vorstellen, einer anderen Partei beizutreten?
Nein, das ist doch überhaupt nicht die Frage. Die meisten Menschen sind in keiner Partei. Ich bin damals in diese Partei eingetreten, als es um den Nato-Doppelbeschluss ging. Binden wir uns an den Westen oder spielen wir neutral mit einem kleinen Seitenblick auf die Sowjetunion? Ich hätte in einem Deutschland, das den zweiten Weg gegangen ist, nicht leben können. Auch damals ging es also um existenzielle Fragen. Ich engagiere mich weiter. Ich bin hoch motiviert, mit oder ohne Partei, in dieser Gesellschaft, mit grosser Fröhlichkeit den Menschen in den Vordergrund zu stellen, und zwar jeden Menschen. Wissen Sie, die schlechteste Demokratie ist mir immer noch lieber als die beste Diktatur.

Hat sich Friedrich Merz seit Ihrem Parteiaustritt eigentlich schon bei Ihnen gemeldet?
Nein. Und ich bin mir nicht mehr sicher, ob er diesen bedauert. Aber das ist irrelevant. Es geht um den persönlichen, inneren Kompass und nicht um den äusseren.

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