Auf einen Blick
- CDU und AfD stimmen über Migrationspolitik ab, Proteste folgen
- Gesetzentwurf zur Aussetzung des Familiennachzugs für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus
- Zehntausende Menschen demonstrierten in mehreren deutschen Städten gegen die Abstimmung
Wir schliessen den Ticker!
Der heutige Tag im Bundestag war geprägt durch hitzige Debatten – teilweise am Rande des guten Benehmens. Merz und seine Union haben es am Ende nicht geschafft ihr Migrationsgesetz durch das Parlament zu bringen, auch weil es in den eigenen Reihen zu viele Abweichler gab. Doch auch die FDP war sich offenbar zuletzt uneins.
Das Thema Migration wird weiterhin ein zentrales Thema im deutschen Wahlkampf bleiben. Bei Blick halten wir dich weiterhin auf dem Laufenden. Eine erste Analyse unseres Ausland-Redaktors Guido Felder über die «gehässige Politik unserer Nachbarn» gibt es bereits hier.
Einen schönen Abend und bis zum nächsten Mal!
Scholz nach gescheitertem Migrationsgesetz «erleichtert»
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich nach dem gescheiterten Unionsgesetz zur Migration im Bundestag «erleichtert» gezeigt. Er sei sich «sicher, dass es vielen anderen auch so geht. Denn: Wir dürfen uns nicht spalten lassen», schrieb Scholz am Freitagabend im Onlinedienst X.
Weidel: «Echten politischen Wandel gibt es nur mit der AfD»
Die AfD gab sich in einer ersten Erklärung nach der Abstimmung weniger positiv: «Das ist die Demontage von Friedrich Merz als Kanzlerkandidat gewesen», sagt AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Dieser sei als «Tiger gesprungen und endete als Bettvorleger».
Dann die übliche Versprechung der AfD-Vorsitzenden: «Eine echte Wende in der Migrationspolitik, einen echten politischen Wandel gibt es nur mit der AfD.»
Merz überrascht «mit einem guten Gefühl»
Zum Ende seines Statements spricht CDU-Chef Merz die «vergiftete Atmosphäre» bei der heutigen Sitzung an. «Das ist natürlich ein harter Schlagabtausch im Plenum gewesen. Das wird auch ein harter Schlagabtausch im Wahlkampf bleiben. Ich nehme mit, dass durchaus Gesprächsbereitschaft da war und da bleibt. Auch mit der FDP war es menschlich okay. Und ich bin mir sicher, dass wir nach der Bundestagswahl mit der demokratischen Mitte vernünftige Gespräche führen können.»
Dann überrascht der Kanzlerkandidat noch mit einer Einschätzung: «Wir sind von einer Krise der Demokratie in Deutschland ziemlich weit entfernt. Auch wenn das jetzt eine harte Woche war und harte Debatten mit knappen Entscheidungen waren. Aber es ist jetzt entschieden und wir schauen nach vorne, machen die Bundestagswahl und danach werden wir vernünftig miteinander reden.» Berlin verlasse er heute Abend «mit einem guten Gefühl».
Merz verkündet: Es gab zwölf Abweichler in der Union
Ein sichtlich enttäuschter Friedrich äussert sich nach der Schlappe vor der Öffentlichkeit. Der CDU-Chef verkündet, dass es zwölf Abgeordnete aus der Unionsfraktion gegeben hat, die nicht für das Gesetz gestimmt haben, sogenannte Abweichler. Wer das genau ist, wird die veröffentlichte Liste in Kürze dann auch uns zeigen.
Aus der Unionsfraktion gab es nach Angaben des Bundestags keine Gegenstimmen. Allerdings gaben 12 Unionsabgeordnete ihre Stimme nicht ab. Aus der FDP-Fraktion, die zuvor ebenfalls ihre Zustimmung signalisiert hatte, gab es zwei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen. 16 FDP-Abgeordnete gaben keine Stimme ab. Die AfD stimmte bei einer nicht abgegebenen Stimme ansonsten geschlossen für das Gesetz. SPD und Grüne stimmten geschlossen dagegen – bei vier beziehungsweise zwei nicht abgegebenen Stimmen. Wie viele Abgeordnete aus Krankheitsgründen fehlten, war nicht bekannt.
Merz zeigte sich zwar enttäuscht, dass das Gesetz keine Zustimmung erfahren wird, betont aber auch: «Es schafft Klarheit. Klarheit, wo wir stehen und Klarheit, wo die anderen stehen.»
Migrationsgesetz verfehlt trotz AfD die Mehrheit
Der Bundestag hat entschieden: Die Abgeordneten haben das Asyl-Gesetz der CDU/CSU mehrheitlich abgelehnt. Das teilte Sitzungsleiterin Petra Pau nach der Abstimmung in zweiter Lesung über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz mit. Die Abgeordneten stimmten wie folgt ab: 338 Ja-Stimmen zu 350 Nein-Stimmen bei 5 Enthaltungen.
Für CDU-Chef Merz bedeutet das abgelehnte Gesetz einen herben Rückschlag. 367 Stimmen wären nötig gewesen – eine Mehrheit die Union, FDP, BSW und AfD eigentlich gemeinsam haben.
Vorausgegangen war eine stundenlange hitzige Debatte im Parlament. Es wurde gestritten und verurteilt, teilweise drohte die Debatte zu kippen.
Die Abstimmung ist beendet!
Das Pausenläuten war zu hören, die Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz ist zu Ende. Das mit Spannung erwartete Ergebnis wird jetzt ausgewertet.
Rücküberweisung in den Ausschuss abgelehnt – Abstimmung beginnt
Nun wird über das «letzte Angebot» von Grünen, SPD und Linken abgestimmt: SPD, Grüne und Linke votieren dafür, das Gesetz in den Innenausschuss rückzuüberweisen. Der Rest ist dagegen. Die Zahl der Stimmen reicht damit nicht, die Rücküberweisung ist abgelehnt. Damit beginnt jetzt die Abstimmung über das Zustrombegrenzungsgesetz.
Klingbeil: «Sie können jetzt einschlagen, wir bieten Ihnen das an»
Nun äussert sich SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil: «Ich weiss nicht, ob diese Debatte gerade eine Glanzstunde des Parlaments ist», sagt Klingbeil. Dann verteidigt er seinen Parteikollegen Mützenich und appelliert an die Union und FDP, um eine gemeinsame Lösung zu finden.
«Vielleicht sind das die letzten Minuten, die wir haben, um zu verhindern, dass hier ein Gesetz mithilfe von Konservativen, Liberalen und Rechtsextremisten beschlossen wird.» Es gebe etwas, was grösser sei als die Debatte: «Verantwortung für unsere Demokratie zu übernehmen. Unser Angebot steht. Sie können jetzt einschlagen, wir bieten Ihnen das an.»
Grüne und SPD wollen Gesetzentwurf zurück in den Innenausschuss überweisen
Als Nächstes redet Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge und wendet sich an die Spitzen der FDP und Union: «Sehr geehrter Herr Dürr, sehr geehrter Herr Merz, – unsere beiden Fraktionen beantragen die Überweisung ihres Gesetzentwurfs in den Ausschuss. Das, was wir hier tun, ist nicht gut für unser Parlament. Deswegen sollten wir ernsthaft als Demokraten miteinander reden.»
Thorsten Frei von der Union lehnt ab und will, dass abgestimmt wird.
Zehntausende Menschen demonstrieren in Deutschland gegen eine gemeinsame Abstimmung von Christdemokraten und AfD in der Migrationspolitik - dennoch könnte am Freitag ein Gesetz den Bundestag passieren, bei dem die Stimmen der Rechtspopulisten mit entscheidend sein könnten.
In dem von CDU und CSU eingebrachten Entwurf geht es um konkrete Regelungen zur Eindämmung der Migration. Nach dem Bundestag müsste das Vorhaben aber noch durch die Länderkammer, den Bundesrat. Dort ist eine Zustimmung nicht sicher.
Empörung über das Vorgehen
Bereits am Mittwoch hatten die Christdemokraten mit Hilfe der Alternative für Deutschland (AfD) einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag durchgesetzt. Der Antrag hatte allerdings nur Appellcharakter.
Die Empörung über das Vorgehen von Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU), der auch Spitzenkandidat von CDU und CSU zur Bundestagswahl ist, ist seitdem gross. Zehntausende Menschen gingen deshalb allein am Donnerstag auf die Strasse - unter anderem in Berlin, Freiburg, Hannover und München.
Worum geht es in dem Gesetzentwurf?
Kern des Gesetzentwurfs der Unionsfraktion, zu dem die liberale FDP, die AfD und das linkspopulistische BSW Zustimmung signalisiert haben, ist die Aussetzung des Familiennachzugs zu Geflüchteten mit eingeschränktem Schutzstatus.
Zu dieser Gruppe gehören in Deutschland viele Syrerinnen und Syrer. Ausserdem sollen die Befugnisse der Bundespolizei erweitert werden. Sie soll künftig, wenn sie in ihrem Zuständigkeitsbereich - also etwa an Bahnhöfen - Ausreisepflichtige antrifft, selbst für eine Abschiebung sorgen können.
Die Union dringt in ihrem Entwurf überdies darauf, das Ziel einer «Begrenzung» des Zuzugs von Ausländern wieder ins Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Das hatte die inzwischen auf Rot-Grün reduzierte Ampel-Koalition gestrichen.
Ist das Vorhaben neu?
Von März 2016 bis Juli 2018 war der Familiennachzug für sogenannt subsidiär Schutzberechtigte von der damaligen schwarz-roten Koalition ausgesetzt worden. Begründet wurde dies damals mit der Absicht, eine Überlastung bei der Aufnahme und Integration zu vermeiden.
Seit August 2018 dürfen monatlich insgesamt 1000 Menschen als Angehörige von Menschen mit diesem Schutzstatus einreisen. Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und liberaler FDP sah eigentlich vor, dass der Familiennachzug auch zu Menschen aus dieser Gruppe wieder unbegrenzt möglich werden soll. Umgesetzt wurde dieses Vorhaben aber nicht.
Welche Abstimmungen hat es vorher gegeben?
Am Mittwoch war ein Antrag der Union zu umfassenden Zurückweisungen an der Grenze im Bundestag beschlossen worden, weil die in Teilen rechtsextreme AfD sowie zahlreiche Abgeordnete der FDP und einige Fraktionslose zugestimmt hatten.
Politiker und Politikerinnen von Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Linke kritisierten Unionsfraktionschef Merz dafür scharf und sprachen von einem Tabubruch.
Anders als der am Mittwoch angenommene 5-Punkte-Plan hat der jetzt zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf rechtliche Konsequenzen. Die Bundesregierung müsste die darin vorgeschlagenen Änderungen umsetzen, falls er denn beschlossen werden sollte.
Wie läuft die Abstimmung ab?
Im Bundestag wird über das «Zustrombegrenzungsgesetz» namentlich abgestimmt. Bei diesem Verfahren wirft jeder Abgeordnete seine Stimmkarte ein - am Ende wird veröffentlicht, wie jeder Einzelne abgestimmt hat. Notwendig ist eine einfache Mehrheit, also mehr Ja- als Nein-Stimmen. Die Christdemokraten haben zusammen mit der AfD, dem linkspopulistischen BSW und der FDP eine Mehrheit im Bundestag.
Wie geht es weiter, falls der Bundestag zustimmt?
Dem Gesetzentwurf müsste auch der Bundesrat zustimmen. Da bislang keine Bemühungen zu erkennen sind, die Länderkammer um Fristverkürzung zu bitten, würde der Bundesrat erst im März - nach der für den 23. Februar geplanten Bundestagswahl - entscheiden. Ob es für das Vorhaben im Bundesrat eine Mehrheit geben wird, ist allerdings fraglich.
Sollte das Gesetz von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden, will die SPD möglicherweise vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die von der Union angestrebten Verschärfungen der Migrationsregeln müssten in Teilen «absolut verfassungsrechtlich geprüft werden», sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch der Deutschen Presse-Agentur. «Insofern halten wir uns diesen Weg auf alle Fälle offen.»
Was sagen die Parteien vor der Abstimmung?
Bundeskanzler Olaf Scholz warf Merz vor, man könne ihm bei der Frage einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr trauen. Merz habe mit Blick auf den Unionsgesetzentwurf gesagt, ihm sei egal, wer zustimme, sagte Scholz dem Sender RTL.
«Das ist eine Politik, die nicht auf Konsens und Kooperation ausgerichtet ist, sondern die genau das will, nämlich die Zustimmung der AfD», sagte Scholz.
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz appellierte erneut an die SPD. «Ich gebe bis zum Schluss die Hoffnung nicht auf, dass die Sozialdemokraten die Kraft finden, dem Vorschlag von uns zuzustimmen», sagte er bei einem Wahlkampfauftritt in Dresden.
Der SPD-Innenpolitiker Dirk Wiese erteilte Merz eine klare Absage. Die Union habe ernsthafte und konstruktive Gespräche zur inneren Sicherheit und zu Migrationsfragen immer wieder abgelehnt, sagte er der «Rheinischen Post». «Jetzt uns kurzerhand diesen unausgegorenen Gesetzentwurf präsentieren in Friss-oder-stirb-Manier? Da gehen wir ganz sicher nicht mit.»
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warnte die Union eindringlich davor, erneut mit der AfD abzustimmen. «Mittwoch war der Tabubruch. Freitag wäre die Wiederholungstat», sagte sie der «Süddeutschen Zeitung».
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verteidigte das Vorgehen der Union. «Wir stimmen nicht gemeinsam mit AfD. Mir ist völlig egal, was sie machen», sagte Linnemann in der ZDF-Talkshow «Maybrit Illner». Wenn man aus Angst, «dass irgendjemand zustimmen könnte», nicht nach seiner Überzeugung handele, so Linnemann, «dann ist das kein Parlament mehr, kein demokratisches Parlament».