Auf einen Blick
Die Empörung in Deutschland ist riesig. Im Bundestag ist ein Vorstoss von Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (69) zur Asyl-Verschärfung nur dank der Stimmen der rechten AfD überwiesen worden. Am Freitag kommt es zum grossen Asyl-Showdown – und das kurz vor den Wahlen vom 23. Februar.
SPD-Kanzler Olaf Scholz (66) schimpfte das Vorgehen einen «unverzeihlichen Fehler», die linken Parteien sprachen von einem schwarzen Tag, und auch die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel (70) hält die Aktion ihres Parteikameraden Merz für «falsch».
Nur: Was ist denn so schlimm, wenn in einem demokratisch gewählten Parlament eine umstrittene Fraktion gleich abstimmt wie eine andere?
Worüber wurde am Mittwoch debattiert?
Als Reaktion auf die Attentate von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg will Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der Union von CDU und CSU, im Asylwesen die Zügel anziehen.
Am Mittwoch wurde über zwei Vorstösse der Union debattiert. Der erste verlangte dauerhafte Grenzkontrollen, ein faktisches Einreiseverbot für Personen ohne Papiere und die Möglichkeit von Abschiebehaft für ausreisepflichtige Personen. Dieser Antrag wurde mit 348 Ja- (CDU/CSU, AfD, FDP) gegen 345 Nein-Stimmen bei 10 Enthaltungen nur dank Zustimmung der AfD überwiesen.
Beim zweiten Antrag ging es um zusätzliche Befugnisse der Sicherheitsbehörden und Strafverschärfungen. Dieser Antrag wurde mit 509 Nein- gegen 190 Ja-Stimmen (CDU/CSU) bei 3 Enthaltungen abgelehnt. Hier stimmte die AfD gemeinsam mit Parteien wie SPD und Grünen.
Um welches heisse Thema geht es am Freitag?
Die Union will den Familiennachzug stark einschränken und umfassende Rückweisungen an der Grenze ermöglichen. Weiter geht es um die Stärkung der Sicherheitsbehörden.
Während die Anträge am Mittwoch auf sofortige Massnahmen der Asylpolitik zielten und rechtlich nicht bindend waren, geht es am Freitag um ein neues Gesetz. Dieses würde die Asylpolitik längerfristig prägen, indem die Immigration gebremst und die Sicherheit im Land verstärkt wird.
Da SPD und Grüne es ablehnen werden, ist die Union wieder auf Stimmen der AfD, der FDP und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) angewiesen. Eine weitere hitzige Debatte ist garantiert.
Warum will keine Fraktion von der AfD unterstützt werden?
Die AfD gilt als teilweise rechtsextrem, weshalb keine Partei mit ihr zusammenarbeiten will. Die Schweizerin Hanna Schwander (42), Politikwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin, erklärt: «Deutschland hat mit seiner Geschichte eine besondere Sensibilität gegenüber dem Thema Rechtsextremismus.» Die CDU habe immer den Anspruch gehabt, dass es keine Partei rechts von ihr geben dürfe.
Merz, der neuer Kanzler werden dürfte, schliesst auch weiterhin eine Regierungskoalition mit der AfD aus. Am Mittwoch sagte er, dass er aber eine Unterstützung seiner Vorstösse durch die AfD nicht verhindern könne.
Wird Friedrich Merz zu Recht kritisiert?
Da gehen die Meinungen auseinander. Die linken Parteien bezichtigen ihn der Lüge, weil er immer eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hatte.
Alexander Marguier (55), Chefredaktor des Politmagazins «Cicero», mahnt zur Besonnenheit: «Es war eine Abstimmung mit demokratisch gewählten Politikern. Angesichts der hitzigen Diskussion könnte man meinen, dass Merz mit Freischärlern versucht hat, das Kanzleramt zu erobern.» Merz habe nichts weiter getan, als auf die jüngsten Attentate in Deutschland zu reagieren.
Hanna Schwander findet den Zeitpunkt «der mit AfD-Rhetorik» gespickten Vorstösse zwei Stunden nach einer Gedenkstunde zur Befreiung von Auschwitz «sehr schlecht gewählt». Und sie sagt über die «demokratisch gewählte AfD»: «Auch die Nationalsozialisten wurden damals demokratisch in den Reichstag gewählt.»
Ist die Brandmauer gebrochen?
Die Brandmauer ist der Begriff, um die Abgrenzung der AfD durch die übrigen Parteien darzustellen. Sie würde dann zerstört, wenn eine andere Partei aktiv mit der AfD zusammenarbeiten würde – etwa bei einer Regierungskoalition. Die gemeinsame Abstimmung im Bundestag bezeichnet Hanna Schwander als «einen ersten Bruch» in der Mauer.
Welche Auswirkungen hat die Debatte auf den Wahlkampf?
Marguier erwartet den absoluten Kulturkampf: «SPD und Grüne werden die CDU in die rechtsextreme Ecke drängen und vor der Wiederauferstehung des Dritten Reiches warnen. Sie werden sich als einzige Parteien preisen, die noch für Demokratie stehen.»
Schwander prophezeit der AfD weitere Punktgewinne, weil die Wähler lieber «auf das Original» setzten. Zudem könnte Merz der CDU schaden, weil er Wähler aus den eigenen Reihen verärgert hat.