Angela Merkel kommt in Zürich an
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«Ich beeil mich»:Angela Merkel kommt in Zürich an

Ausverkaufte Lesung im Zürcher Volkshaus – Publikum begeistert
Angela Merkel verteidigt ihr schwieriges Erbe

Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (70) hat am Montagabend im Zürcher Volkshaus ihre Autobiografie «Freiheit» vorgestellt. Der Anlass war ausverkauft, das Publikum von der Star-Politikerin begeistert – obwohl diese einige heikle Fragen aussparte.
Publiziert: 28.01.2025 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 28.01.2025 um 10:13 Uhr
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Im Zürcher Volkshaus stellte Angela Merkel am Montag ihre Autobiografie «Freiheit» vor.
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Angela Merkel stellt in Zürich ihre Autobiografie vor
  • Merkel spricht über DDR-Kindheit, Flüchtlingskrise und Ukraine-Konflikt
  • 736-seitiges Werk umfasst Erinnerungen von 1954 bis 2021
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Im Zürcher Volkshaus stellte die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (70) am Montagabend ihre Autobiografie vor. «Freiheit. Erinnerungen 1954 – 2021» heisst das 736-seitige Werk, aus dem die Altkanzlerin ausführlich vorlas.

Dabei fiel auf, welche Themen sie nicht erwähnte: Merkel sagte kein Wort zu US-Präsident Donald Trump (78), den sie in seiner ersten Amtszeit gut kennengelernt hatte. Merkel erwähnte ihren Parteikollegen Friedrich Merz (69) mit keinem Wort. Auch die AfD blieb unerwähnt, obwohl die Entstehung der Partei in Merkels Amtszeit gefallen war. Und auch den Bau der Erdgas-Pipeline «Nordstream 2» von Russland nach Deutschland sprach Merkel nicht an.

Trotzdem sprach die ehemalige Kanzlerin über wichtige Episoden aus ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft. Meist hielt sie sich dabei an die sorgfältig abgewogenen Worte aus ihrem Buch. Nur selten sprach sie frei – und auch dann kontrollierte sie ihre Worte so sorgfältig, wie man sich das von der Physikerin gewohnt ist.

«Ein relativ rustikales Kind» in der DDR

Merkel sprach über ihre grundsätzlich glückliche Kindheit in der DDR. Sie sei ein «relativ rustikales Kind» gewesen. Als kleines Mädchen habe sie Wasser aus dem Trinknapf der Hühner getrunken und ungewaschene Möhren gegessen.

Gleichzeitig gab es aber die Diktatur der DDR, ein Staat, «der einem unverhofft Grenzen setzen konnte», wie Merkel sagte. In einen Konflikt geriet sie kurz vor dem Abitur, als sie ihre Schulkollegen zu einem etwas rebellischen Kultur-Beitrag anstiftete – unter anderem sangen die Schülerinnen und Schüler die Sozialistische Internationale auf Englisch. Darauf wurden Mitschüler von Stasi-Beamten befragt, ihre Eltern waren alarmiert. Letztlich konnte ihr Vater aber schlimmeren Schaden abwenden. «Schon wegen kleinen Abweichungen von der Norm konnte fast die Hölle los sein», sagte Merkel über die DDR. «Man musste immer ein Leben auf der Kante führen.»

Macho-Schröder und Flüchtlingskrise

Merkel sprach auch über die Bundestagswahlen vom September 2005, als der damalige SPD-Kanzler und Wahlverlierer Gerhard Schröder (80) in einer TV-Elefantenrunde sehr Macho-mässig auftrat. Trotz eines geringeren Wähleranteils beanspruchte er vor laufenden Kameras die Regierungsbildung und die Kanzlerschaft für sich. «Wahnsinn!», dachte sich Merkel damals. «Er wollte durch Überrumpeln neue Fakten schaffen.» Trotzdem wurde Merkel danach Kanzlerin.

«Wir schaffen das», hatte Merkel im August 2015, inmitten der Flüchtlingskrise gesagt. «Kein anderer Satz wurde mir so um die Ohren gehauen», sagte sie in Zürich. Sie habe diese Entscheidung aber «aus voller Überzeugung gefällt» – und sie sei nicht falsch gewesen. Grenzschliessungen – wie sie aktuell wieder etwa von CDU-Chef Merz gefordert werden – bezeichnete sie als «irrige Fiktion». Sie verwies dabei auf ihren Einsatz für den Türkei-Flüchtlingsdeal vom März 2016, der letztlich die Flüchtlingszahlen auf der Ost-Route massiv reduzieren konnte.

Faden zu Putin wegen Corona gerissen

Ihr Erbe verteidigte Merkel auch in Bezug auf die Ukraine. 2008 hatte sie eine Nato-Beitritts-Vorstufe für das Land abgelehnt, weil die innerstaatliche Stabilität nicht ausreichend gewesen sei und das Land damals noch die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim beheimatet hatte. Auch habe nur eine Minderheit der Ukrainer damals einen Nato-Beitritt befürwortet.

Merkel fragte sich vor dem Publikum, ob Putin auch ohne Corona in der Ukraine eingefallen wäre. Das Problem: Durch die Umstellung auf Videokonferenzen in der Pandemie seien «Gesprächsfäden gerissen» – gerade mit Autokraten wie Wladimir Putin (72) oder Xi Jinping (71). «Neue Kompromisse wurden nicht geschmiedet», so Merkel. Es liege jedoch nun im westlichen Interesse, «dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt.»

Gegen Politiker-Phrasen

Zum Schluss erwähnte Merkel, dass sie beim Schreiben des Buchs auch über Sprache nachgedacht habe – und kritisierte Politiker für ihre oft unklaren Phrasen. «Wir neigen dazu, Fragen auszuweichen und Minuten zu füllen, um nur schon damit die nächste Frage zeitlich möglichst im Keim zu ersticken», sagte sie.

Zwar bestieg manchen Besucher das Gefühl, dass Merkel auch an diesem Abend gewissen Fragen wieder elegant ausgewichen war. Jedoch dankte das Zürcher Publikum den Auftritt mit einem langen Applaus und Standing Ovations.

«Sie bleibt sich treu»

Im Publikum fanden sich verschiedene Prominente, darunter Moderator Kurt Aeschbacher (76), Journalist Matthias Ackeret (61), Publizist Roger de Weck (71), Comedian Stefan Büsser (39) oder die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (64). Die Sozialdemokratin sagte nach der Lesung über Merkel: «Sie bleibt sich treu.» Merkel habe eine klare Haltung, viel Bodenständigkeit und lasse sich nicht von links oder rechts irritieren. «Auch nicht von Männern, die meinen, sie wüssten es besser als sie», betonte Mauch.

Humorvoll eingeleitet wurde der Anlass von Hazel Brugger (31). «Es ist wirklich ein gutes Buch», erklärte Brugger. Zum Gespräch zwischen ihr und Merkel – wie sie es im November einmal geführt hatten – kam es in Zürich leider nicht.

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