Heute wirkt die Episode vom Februar 2023 wie ein mahnendes Vorzeichen. Nadine Olivieri Lozano (49), die Schweizer Botschafterin im Iran, besuchte damals im Vollschleier eine religiöse Stätte im schiitischen Wallfahrtsort Ghom und tauschte sich beherzt mit den Ayatollahs aus.
Die Fotos gingen um die Welt und sorgten für allgemeine Irritation – schliesslich war das iranische Mullah-Regime in jenen Tagen gerade dabei, die Protestbewegung im Land blutig niederzuschlagen, die sich nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im September 2022 formiert hatte. Iranerinnen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzen, werden verhaftet, zusammengeschlagen, gedemütigt und vergewaltigt. Im Schatten neuer Weltereignisse wird die Repression hochgefahren. Die kürzlich mit dem Friedensnobelpreis geehrte Frauenrechtlerin Narges Mohammadi (51) musste ihre Auszeichnung Anfang Dezember aus der Gefängniszelle verfolgen. Menschenrechtsorganisationen schlagen wegen der vielen Hinrichtungen Alarm. Vor drei Wochen wurde ein 17-Jähriger exekutiert.
Iranische Führung auf Kurs
Für die Machthaber läuft auch aussenpolitisch alles bestens: Mit der libanesischen Hisbollah-Miliz, den jemenitischen Huthi und dem syrischen Assad-Regime verfügt man über wichtige Stützpfeiler in der Region. Die Bande mit Russland und China sind noch enger geworden. Derweil ist Europa zu schwach, um etwas entgegenzusetzen – die EU schaffte es anders als die USA und Kanada nicht einmal, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen. Sie sind der Motor von Teherans aggressiver Innen- und Aussenpolitik.
Alle Versuche, den Gottesstaat zu isolieren, sind misslungen. Am 7. Oktober verübte die vom Iran unterstützte Hamas einen Terrorangriff mit 1200 Toten gegen Israel und schaffte es damit, die Netanyahu-Regierung in einen neuen Krieg mit fast 20'000 palästinensischen Opfern hineinzuziehen. Vertreter der Revolutionsgarden prahlen damit, die Hamas im Vorfeld des 7. Oktobers trainiert zu haben.
Als Botschafterin Olivieri Lozano im Februar ihre besagte Reise nach Ghom unternahm, vermeldete das Departement von FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (62) noch stolz, dass auch der Besuch einer Universität zwecks «interreligiösen Austauschs» auf dem Programm stand. Das passte sehr gut in das von der Bundesverwaltung bemühte Motiv der Guten Dienste. Die Schweiz vertritt als Schutzmacht die Interessen der USA im Iran. Man will Vermittlerin auf der Weltbühne sein, da gehören auch zivilgesellschaftliche Engagements auf allen Seiten dazu. Was damals hierzulande nicht bekannt war: Bei der erwähnten Hochschule handelte es sich um die University of Religions and Denominations (URD), auf Deutsch Universität der Religionen und Konfessionen.
Universität als verlängerter Arm der Ayatollahs
Die URD ist eng mit dem iranischen Machtapparat verflochten. Bei ihrer Gründung 2005 waren Vertreter der Revolutionsgarden dabei. Einer ist der Hardliner Mohammad Taghi Shahcheraghi, seit diesem Sommer stellvertretender Innenminister. Ein anderer ist Ayatollah Alireza Arafi (64), Mitglied des Wächterrats und Vertrauter von Revolutionsführer Ali Chamenei (84). Arafi hat sich schon mehrfach mit Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah (63) getroffen. 2018 trat der Hisbollah-Vize Naim Kassim (70), der öffentlich die Vernichtung Israels fordert, an der URD auf. Solche Verflechtungen der URD mit dem Mullah-Regime und seinen internationalen Verbündeten wurden unter anderem von der US-amerikanischen NGO United Against Nuclear Iran am 5. November in einem detaillierten Bericht aufgezeigt.
Brisant ist der Bericht eines regimenahen Portals vom 24. Februar 2023, auf den Blick gestossen ist. Darin ist Olivieri Lozano in einer Runde mit dem Chef der URD zu sehen. Gemäss der Berichterstattung auf Persisch scheint der Schweizer Gast alles andere als kritische Distanz gezeigt zu haben, im Gegenteil. Olivieri Lozano wird mit den Worten zitiert: «Wir sind sehr interessiert daran, die Zusammenarbeit zwischen Schweizer Universitäten und der URD auszuweiten.» Und es sei «sehr erfreulich», dass die URD «als eine internationale Universität Studenten aus der ganzen Welt die Gelegenheit bietet, hier zu studierenden». Die Botschafterin befürworte «die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Universitäten beider Länder».
Anders als die Verlautbarungen aus Bern vermuten lassen, ist die URD keine Uni für gewöhnliche Iranerinnen und Iraner. Die Islamic World Science Citation Database listet die Hochschule nicht einmal auf. Man kommt nicht via Aufnahmeprüfung hinein; ihre Studenten rekrutiert die Führung selber, nach eigenen Angaben 85 Prozent aus dem Ausland.
URD bestens vernetzt
Beim Internetauftritt gibt man sich gar nicht erst die Mühe, irgendwelche Distanz zum Regime vorzutäuschen, das den Iran seit über vier Jahrzehnten kontrolliert. Der Universitätspräsident bezeichnet die URD offen als «Kapital für die Auslandspolitik der Islamischen Republik»; der Website ist zu entnehmen, wie er dem Chef der Quds-Brigade zu seiner Ernennung gratuliert. Das ist die Auslandsabteilung der Revolutionsgarden. Der 2020 von den USA ermordete General der Einheit, Qassem Soleimani (1957–2020), geniesst in diesen Kreisen Märtyrerstatus – in einer Rede nennt der URD-Rektor seine Hochschule als «Vorreiterin» für das, was Soleimani «in die Praxis umgesetzt» habe.
Wie der Bericht von United Against Nuclear Iran aufdeckte, unterhielt ebendiese umstrittene Universität eine Zusammenarbeit mit mehreren deutschen Hochschulen. «Taz» und «Bild» berichteten. Laut der Gruppe stellt die Unterwanderung westlicher Institutionen ein wichtiges Soft-Power-Instrument des Mullah-Regimes dar. Die Universitäten von Paderborn, Münster und die Freie Uni Berlin haben ihre Kooperation mit der URD inzwischen eingestellt. Die Lobbyarbeit der Mullahs ist allerdings höchst erfolgreich. Man hofiert ranghohe Vertreter der westlichen Intelligenzija. Im März 2023 empfing Papst Franziskus (87) eine Delegation der URD im Vatikan.
Ihre Verbindungen pflegt die «Kaderschmiede» der Mullahs («Taz») auch in der Schweiz. Vor drei Wochen berichtete die «NZZ am Sonntag» über Saida Mirsadri (39), eine iranische Gastprofessorin für Religionsphilosophie an der Universität Zürich mit Verbindungen zur URD.
Widersprüche bei der Gastprofessorin
Aufgefallen war ein recht zahmer Podcast Mirsadris’ mit der Dekanin des religionswissenschaftlichen Seminars am 14. Oktober 2022 («Der weibliche Körper als Schlachtfeld»). Während die Freiheitsbewegung im Iran ihren Höhepunkt erreichte, äusserte Mirsadri ihren Unmut, dass die iranische Führung hier als islamistisch bezeichnet werde.
Die Uni Zürich teilte daraufhin mit, dass Mirsadri «lediglich vom März 2023 bis zum 6. November 2023 über einen Titel («Research Chair») affiliiert» gewesen sei. Sie sei dort überdies nicht angestellt gewesen, «erhielt kein Gehalt und hat nie an der URD unterrichtet». Allerdings scheint die Hochschule selber gehadert zu haben – das «lediglich» verschwand später aus der Stellungnahme, und Mirsadri redet in einem anderen Interview selber freimütig darüber, dass sie acht Jahre lang als Übersetzerin für die URD tätig war.
Als Antwort auf den «NZZ»-Artikel verfasste Reinhold Bernhardt (66), Professor für Systematische Theologie an der Universität Basel, einen geharnischten Leserbrief. Darin zerriss er Mirsadris Bezeichnung als «langer Arm Teherans» als «groteske Unterstellung mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, halbwahren Informationen und tendenziösen Interpretationen». Professor Bernhardt hatte indes selber schon mit der URD zu tun: 2015 führte er dort einen einwöchigen Workshop von «Offenem Theismus» bis zu Postkolonialen Theorien.
In der Schweizer Theologenszene wird relativiert und auf die besonderen Umstände hingewiesen, die für die Bürger totalitärer Staaten gelten – man kann öffentlich nicht alles sagen. So habe Mirsadri selber Familienangehörige durch die Repression verloren, heisst es. Kritik fände im Rahmen des Möglichen statt.
«Eine Art Pilgerstätte für westliche Wissenschaftler»
Auf Anfrage von Blick äussert sich Bernhardt differenziert: «Die scharfe Kritik an den Aussagen des Präsidenten der URD ist vollkommen berechtigt», sagt er. «Ich teile sie.» Man könne aber von diesen Aussagen «nicht auf die politische oder religiöse Ausrichtung der URD insgesamt» schliessen und schon gar nicht auf die Haltung Mirsadris. Er selber sei zwischen 2014 und 2018 vier Mal dort gewesen, wo er Vorlesungen und Seminare gehalten und an Veranstaltungen teilgenommen habe.
Auch teile die Studentenschaft laut Bernhardt keineswegs die Haltung der obersten Führung. «Soweit ich es beurteilen kann, sind einige dieser Personen sehr regimekritisch und liegen keineswegs auf der Linie dessen, was der Präsident gesagt hat.» Um eine konservative oder gar extremistische Hochschule handle es sich «keineswegs», im Gegenteil: «Über viele Jahre hinweg war die URD eine Art Pilgerstätte für westliche Wissenschaftler und prominente Religionsvertreter, die am Dialog mit dem schiitischen Islam interessiert waren.» Überdies sei der Rektor der Uni Zürich auch einmal mit einer Gruppe Zürcher Professorinnen und Professoren zu Gast gewesen. Bernhardt pflege diese Kontakte zur URD nur um der Studierenden willen, wie er betont. «Ich bedauere das keineswegs.»
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Regimekritiker sind von der Schweiz enttäuscht
Und was sagt man bei Cassis’ Aussendepartement? «Um ihr Amt ausüben zu können, müssen unsere Botschafterinnen und Botschafter das Gastland insgesamt, dessen Kultur und Bevölkerung, kennen», teilt ein EDA-Sprecher Blick mit. «Dazu gehören auch Besuche in akademischen Institutionen in den unterschiedlichen Teilen des Landes.» Beim Besuch der URD seien auch die Menschenrechte angesprochen worden. Für Botschafterin Olivieri Lozano – sie gilt als talentierte Diplomatin – sei der Besuch «die Gelegenheit einer Kontaktaufnahme mit dieser akademischen Einrichtung im Bereich des interreligiösen Dialogs» gewesen. Eine Zusammenarbeit zwischen der URD und Schweizer Universitäten sei 2024 nicht geplant.
Regimekritikerinnen mit iranischem Hintergrund nehmen die ganze Geschichte bitter zur Kenntnis. «Die Schweizer Behörden haben im Februar behauptet, dass Botschafterin Olivieri Lozano Kontakt zu allen Gruppierungen im Iran pflegt», sagt die Politologin Saghi Gholipour (40), Mitgründerin der Bewegung «Free Iran Switzerland». «Ich habe aber nie von einem Besuch bei der Familie von Jina Mahsa Amini gelesen. Oder einem Besuch bei den Hinterbliebenen der 700 im ablaufenden Jahr hingerichteten Menschen.» Die Schweiz ermutige mit ihren Zeichen die Mullahs, mit ihren Verbrechen weiterzumachen. «In der Verfassung heisst es, dass wir die Achtung der Menschenrechte weltweit fördern. Was unsere Botschafterin getan hat, trägt zum Gegenteil bei.»
Gholipour erwartet nach wie vor, dass beim Bund endlich ein Umdenken einsetzt und man dem iranischen Regime und seiner PR-Arbeit gegenüber kritischer wird. Die mahnenden Vorzeichen wären da.