Editorial über den aserbaidschanischen Blitzkrieg
Die Schande von Baku

Einst wurde der Ölstaat Aserbaidschan vom Westen belächelt, dann hofiert. Neuer Tiefpunkt ist das Schweigen über die Aggression gegen die Armenier.
Publiziert: 24.09.2023 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2023 um 09:26 Uhr
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Gehätschelt und hofiert: Aserbaidschans Machthaber Ilham Alijew.
Foto: imago/Russian Look
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Nicht nur Harry Hasler witzelte über «Sabberbaidschan», die ganze Schweiz riss Sprüche über die einstige Sowjetrepublik am Kaspischen Meer. Dort also musste unsere Fussball-Nati für das WM-Qualifikationsspiel hin. Gegen die «Zwerge aus Aserbaidschan», wie der SonntagsBlick sie nannte, war ein Sieg Pflicht. Umso tiefer sass der Schock, als Helvetiens Kicker das Spiel in Baku 0:1 verloren. Die «NZZ» schrieb von einer «sporthistorischen Blamage», Blick von einer «Schande» und, unvergessen, vom «Debaku».

Das war 1996. Seither ist der Ölstaat Aserbaidschan dank veränderter weltpolitischer Gegebenheiten und gestiegener Rohstoffpreise massiv erstarkt. Aus den «Zwergen» von einst ist eine Regionalmacht geworden, vom Westen gehätschelt und hofiert. Auch die Eidgenossen reihten sich in den Chor der Süssholzraspler ein. 2011 pilgerte die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zu Diktator Ilham Alijew, dessen Bodenschätze in Bundesbern Begehrlichkeiten weckten. Letztes Jahr importierte die Schweiz 175 000 Tonnen aserbaidschanisches Rohöl, via Socar betreibt der Alijew-Clan hierzulande gleich ein ganzes Tankstellennetz.

Wohin es führt, wenn Autokraten mit Territorialgelüsten der rote Teppich ausgelegt wird, zeigte sich letzte Woche: Alijew hatte aus Putins Überfall auf die Ukraine gelernt, dass sich Landesgrenzen mit Gewalt verschieben lassen. Im Konflikt um Bergkarabach, eine Provinz mit mehrheitlich armenischen Bewohnern, machte die hochgerüstete aserbaidschanische Armee in 24 Stunden reinen Tisch – es war Alijews Blitzkrieg. Armenien ist eine uralte Kultur, die bei Christi Geburt bereits tausend Jahre bestand. Im Schraubstock der Mächte erlebten die christlichen Armenier über Jahrhunderte Genozid, Verfolgung und Vertreibung. Dazu kommt die fatale Bündnispolitik ihrer Führung: Deren Partner sind Russland und Iran, während sich das muslimische Aserbaidschan geschickt als Aussenposten der USA, Europas und Israels etablierte.

Der internationale Aufschrei – auch jener aus der Schweiz – über Aserbaidschans Aggression, über die Tatsache, dass sich an Europas östlichem Rand auch im 21. Jahrhundert die Weltkarte mit Waffen umschreiben lässt, ist erstaunlich leise: Das ist die wahre Schande von Baku.

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