Kommentar zu Cassis' Coup von Genf
Jetzt bloss nicht in den Sicherheitsrat!

Der Biden-Putin-Gipfel befeuert die Kandidatur von Ignazio Cassis für einen Schweizer Sitz im Uno-Sicherheitsrat. Doch Bundesbern sollte von diesem Gremium die Finger lassen.
Publiziert: 13.06.2021 um 11:22 Uhr
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Reza Rafi, stellvertretender Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Anja Wurm
Reza Rafi

Politik ist eine Achterbahnfahrt. Gestern war Ignazio Cassis der belächelte Aussenminister, im EU-Dossier vom Gesamtbundesrat getrieben, von Bundespräsident Guy Parmelin auf dessen Brüssel-Reise daheim gelassen.

Heute wandelt derselbe Cassis selbstbewusst durch Bundesbern wie der Herr über die Gestirne.

Der anstehende Gipfel von US-Präsident Joe Biden und Kreml-Chef Wladimir Putin in Genf wird der Höhepunkt von Cassis’ Amtszeit. Der Tessiner im Glanz der Weltpolitik – das lässt den europapolitischen Knorz für eine Weile vergessen.

Der EDA-Vorsteher kann sich diesen Coup ans Revers heften; erst recht, weil die Konkurrenz in der Friedensdiplomatie so hart ist wie noch nie. Längst ist der Kalte Krieg vorbei, als sich die Schweiz aus schlechtem Gewissen wegen ihrer Nichtmitgliedschaft bei der UNO allseits als Konfliktlöser anbieten und damit dutzendfach Schutzmachtmandate sammeln konnte. Nur Erzrivale Schweden war der Alpenrepublik auf den Fersen.

Heute hat sich das Feld im Wettbewerb der Dienstboten und Mediatoren verbreitert. Der Atomdeal mit Iran wurde 2015 in Wien unterzeichnet. Die Jemen-Friedensgespräche wurden in Stockholm abgehalten. Putins denkwürdiges Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump fand 2018 in Helsinki statt. Und Trumps Handschlag mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un erfolgte in Singapur. Der Standortwettbewerb ist gnadenlos: Eben ist es dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gelungen, einen Teil des Fifa-Sitzes von Zürich nach Paris zu holen.

Cassis aber verfolgt sowieso eine viel weitergehende Agenda, in die der Biden-Putin-Gipfel perfekt hineinpasst: Die Schweiz soll in den UNO-Sicherheitsrat. Für Bundesbern ist das die logische Weiterführung dieser Neutralitätspolitik. Man könnte sich so noch stärker als Friedensstifter einbringen, wird argumentiert.

Doch das droht sich als fataler Trugschluss zu entpuppen. Im Sicherheitsrat wird mit anderen Bandagen gekämpft: Taktierende Grossmächte belohnen Diktaturen, schonen Kriegsparteien und blockieren Resolutionen. Entscheide, die Bürgern einer freien Demokratie kaum zu vermitteln sind. Und mittendrin die neutrale Eidgenossenschaft?

«A plus for peace», lautet Cassis’ Motto für die Kandidatur, ein Plus für den Frieden. Doch ein Sitz im UNO-Sicherheitsrat wäre ein Minus für die Schweiz. Es ist zu hoffen, dass der Aussenminister angesichts des Erfolgs von Genf besonnen bleibt.

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